Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
»Sie schlagen mich tot! Sie erschlagen mich wie einen tollen Hund! Sie … sie … Kameraden! Jungs! Laßt mich leben! Leben!«
    Dann prasselten die Schläge auf ihn herunter. Vom Kopf bis zu den Zehen spürte er die Schmerzen, überall hieben die Fäuste auf ihn ein, droschen sein Fleisch mürbe und hämmerten auf die Knochen. Einmal brüllte er viehisch auf, als ein Fausthieb seinen Unterleib traf und er zu explodieren glaubte und die Welt unterging in einer Hölle von Schmerz.
    Er wurde ohnmächtig, streckte sich in dem stinkenden Kohlsack und nahm die Gewißheit mit, getötet zu werden.
    Dr. Langgässer hatte bis gegen ein Uhr nachts gelesen und immer wieder auf die Uhr gesehen. Er wartete. Als es ein Uhr vorbei war, ging er ans Fenster und blickte hinüber zu Baracke 3. Alles war dunkel und still. Hatte man das Strafgericht abgeblasen?
    Er wollte schon wieder zurücktreten, sich ausziehen und ins Bett legen, als die Tür aufsprang. Gestützt von zwei Kameraden humpelte Peter Kleefeld über den Appellplatz zum Revier. Es war zu dunkel, um zu erkennen, wie er aussah. Aber an der Art, wie er ging, wie die anderen ihn fast tragen mußten, war deutlich zu sehen, daß er grausam zugerichtet worden war.
    Dr. Langgässer rannte aus dem Zimmer und riß die Tür nach draußen auf. »Was ist denn los?« rief er in die Nacht hinaus. »Was bringt ihr denn da an?«
    »Einen Mondsüchtigen, Doktor!« Die Stimme des Lagerältesten Much. »Kleefeld. Wandelt da 'rum und fällt in den Gemüsekeller, das Rindvieh! Stinkt nach Kapusta wie ein ukrainisches Schwein. Los, nun komm schon, Peter …«
    Eine Stunde lang hatte Dr. Langgässer zu tun, Kleefelds Wunden zu kühlen, zu verbinden, zu desinfizieren. Kaum eine Stelle des Körpers war ohne Hämatome. Mit weit offenen Augen lag Kleefeld auf dem Holztisch, unbeweglich, wortlos, und aus den Augenwinkeln rannen ihm die Tränen über den Hals.
    »Du bist ein Idiot, Peter«, sagte Dr. Langgässer, als er mit der Wundversorgung fertig war. Er beugte sich über den Weinenden, und Kleefeld schloß die Augen. »Lohnt sich das, Peter? Sitzen wir nicht alle in der gleichen Scheiße? Zwanzig Jahre lang …?«
    Am Morgen meldete Dr. Langgässer dem Lagerkommandanten Major Kraswenkow den nächtlichen Neuzugang im Lazarett. Wassilij Gregorowitsch frühstückte gerade. Ei mit Schinken, marinierter Stör, gesüßte Waldbeeren. Man braucht nicht zu hungern in Sibirien. Das Transistorradio spielte wieder. Marschmusik. Ab und zu hörte Kraswenkow auch solche Musik. Aber Tschaikowskij war ihm lieber. Doch die Welt besteht nicht nur aus Tschaikowskij, nicht wahr, Brüderchen? Überall gibt es Menschen, die bei Marschmusik gleich hurra schreien und ein steifes Kreuz bekommen … Für die muß der Rundfunk auch etwas senden, denn der Rundfunk ist für alle da! So ist's.
    »Ein Mondsüchtiger?« fragte Major Kraswenkow zweifelnd und biß in den marinierten Stör. »Gestern nacht war doch gar kein Mondschein. Stockdunkel war's! Tiefe Wolken!«
    »Es gibt schwere Fälle, Herr Major, wo Mondsüchtige zu wandeln anfangen, wenn sie nur von Vollmond träumen …« Dr. Langgässer sah Kraswenkow treuherzig an. »Der Mensch ist voller Wunder, Herr Major.«
    »Wie glücklich bin ich, nur ein einbeiniger, lahmer Soldat zu sein!« sagte Major Kraswenkow. »Meine Wunder sind eine gespickte Rentierkeule und ein strammes jakutisches Weibchen, das es auf sich nimmt, sich an meinem Holzbein blaue Flecken zu stoßen!« Wassilij Gregorowitsch lachte laut, streckte das gesunde Bein weit von sich und schob ein halbes Ei in den Mund. »Setzen Sie sich, Doktor. Eine Tasse Tee kann ich Ihnen anbieten, ohne mir Vorwürfe zu machen, mich mit dem Kapitalismus zu verbrüdern!«
    Er lachte dröhnend.
    Das Bewußtsein, nichts mehr verlieren zu können als das eigene elende Leben, machte Karpuschin mindestens zwanzig Jahre jünger.
    Marfa spürte es im Bett, und welches Frauchen würde sich nicht darüber freuen? Bis in den späten Morgen hinein schlief man jetzt, dann kochte Marfa Tee. Dazu aß man Kuchen und mit Honig bestrichene Fladen, und Karpuschin liebte es, als Nachtisch Marfa abzuküssen und immer wieder zu sagen: »Ein in Zucker getauchtes Vögelchen bist du. O welche Wonne! Dein Körper atmet den Honig wieder aus.«
    Man sieht, wie jung er wurde, der gute Matweij Nikiforowitsch. Nur wenn die Zeit kam, in der die Post durchs Haus ging, wurde er still und wartete, daß man an seiner Tür schellte … oder er saß manchmal am

Weitere Kostenlose Bücher