Liebesnächte in der Taiga
Anna Haffnerowa rollte ihn in seinem Stuhl zur Stolowaja. Die Kommissare aus Irkutsk sahen sich an, als der kindisch Lallende vor ihrem Hufeisentisch stand, ihnen winkte und zurief: »Zieht den Richtkranz hoch, Zimmerleute! Hau ruck! Hau ruck! Verdammt, wer hat mir die Trüffel geklaut?«
»Was soll das?« fragte der Oberkommissar.
»Mein Mann«, sagte die Haffnerowa stolz. »Ich beantrage für ihn die sowjetische Bürgerschaft.«
»Wollen Sie uns beleidigen, Genossin?«
»Seit zehn Jahren wartet er auf diesen Tag. Die Lena hat ihn so zugerichtet. Kann er dafür? Er wird bald sterben … Laßt ihn als Russen sterben.«
»Haffner. Willi Haffner.« Der Kommissar suchte unter den Akten, fand einen Schnellhefter, blätterte darin und sah immer wieder auf den lächelnden und schwatzenden Mann. »Aus Monschau in der Eifel. Das ist in Westdeutschland. Ist er unheilbar?«
»Ich glaube nicht an Wunder, Genosse«, sagte die Haffnerowa.
»Er kann zurück nach Deutschland.« Der Kommissar klappte die Akte zu. »Nur Gesunde können Bürger werden.«
»Was heißt das?« fragte die Haffnerowa starr.
»Er kommt zurück in seine Heimat. Er ist und bleibt Deutscher und wird amtlich ausgewiesen. Wir werden ihn abholen, wenn aus Moskau die Bestätigung gekommen ist.«
»Abholen? Meinen Mann?« fragte die Haffnerowa laut.
»Der nächste!« Der Oberkommissar sah zur Tür. »Gehen Sie hinaus, Genossin. Sie müssen einsehen, daß wir niemanden einbürgern, der bereits im Sterben liegt.«
»Dann laßt ihn hier sterben!« schrie die Haffnerowa. »Hier war er glücklich. Am Fluß, in den Wäldern, bei mir und den Kindern! Drei Kinderchen habe ich von ihm! Ich bitte euch, Genossen, laßt ihn hier sterben! Holt ihn nicht ab!«
Der Oberkommissar winkte. Zwei Milizsoldaten, die aus Shigansk mitgekommen waren, führten die Haffnerowa aus der Stolowaja und rollten den vor sich hin singenden Haffner hinterher.
Das alles erfuhren Semjonow und Ludmilla in ihrer Hütte an der Muna. Frolowski oder andere Männer aus Bulinskij, die mit dem Boot zur Muna fuhren, brachten jeden dritten Tag die neuesten Nachrichten mit. Sie erzählten auch, daß Semjonows Haus bei einer Kontrolle der Wohnungen beschlagnahmt worden sei, als leerstehendes, verlassenes Gebäude, in dem ein gewisser Sabeljewski gewohnt haben sollte, wie der Dorfsowjet den Kommissaren erklärt hatte. Sabeljewski, ein allen unbekannter Jäger, der nach zwei Jahren Nowo Bulinskij wieder verlassen habe. Wohin? O Genossen, wer soll das wissen? War ein düsterer, verschlossener Mann, dieser Sabeljewski. Niemand hatte ihn gefragt in den zwei Jahren.
So wurde Semjonows Haus nun belegt. Da es groß und massiv war, wurde es zum ›Freizeithaus der Partei‹ umgestaltet. Bücher sollten kommen, Schachspiele, ein Billard, ein Radio und viele Karten zur Schulung.
Am 12. August trafen Marfa und Karpuschin in Nowo Bulinskij ein. Sie hatten in Shigansk übernachtet, und es war Mittag, als sie den Wagen vor dem Kirchplatz abstellten. Der Kaufmann Schamow sah durch die Scheibe seines Schaufensters kritisch zu ihnen hinüber und schickte dann seinen ältesten Sohn zu Schliemann mit der Botschaft, Besuch sei gekommen, der so aussehe, als sei er unangenehm.
Schliemann zögerte nicht, ging mit Schamows Sohn bis zum Kirchplatz und sah Karpuschin in Verhandlungen mit Frolowski, den er gerade fragte, wo die Achatschleiferei sei.
»O Himmel!« sagte Schliemann betroffen. »Karpuschin! Und Marfa! Wir müssen Semjonow verständigen. Wenn Karpuschin den Fundort der Achate sehen will – möglich ist alles –, kommt er ja bei Semjonow vorbei!«
Er rannte hinunter zum Motorboot, das gerade von der Muna gekommen war. Wancke putzte das Deck, und zwei Jakuten luden die Rohsteine aus. In großen, geflochtenen Körben schleppten sie sie ans Ufer.
Um die gleiche Zeit saß Ludmilla im Krankenhaus der Kirstaskaja gegenüber und trank Tee. Sie war mit dem Boot nach Bulinskij gekommen, um einige Medikamente zu holen.
Karpuschin schien von Frolowski mehr erfahren zu haben, als er wissen wollte. Der Kaufmann Schamow sah, wie Frolowski, dieser geile Hund, um die junge, schöne Dame herumschlich und sie anschließend zu der Steinschleiferei führte. Der Mann aber ging an der Kirche vorbei, hinunter zum Strom, den Weg zum Krankenhaus.
Es war Borja, der Karpuschin aufhielt. An der Tür des Krankenhauses trat er ihm entgegen und fragte:
»Wohin, Genosse? Sind Sie krank? Wo kommen Sie her? Ich kenne Sie nicht! Das ist
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