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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Baumkronen der Taiga wogten im Morgenwind. Die Lena bekam einen silbernen Glanz, als wische eine unsichtbare Riesenhand den grauen Belag der Nacht von ihr weg. Unglaublich grün leuchtete der Wald, die Sandbänke in der Lena glitzerten weiß, als seien sie nicht aus in Millionen Jahren zermahlenen Kieseln entstanden, sondern beständen aus winzigen Diamanten, in denen sich jetzt die ersten Strahlen der Morgensonne brachen.
    Am Stadtrand von Nowo Bulinskij, dort, wo die Gemüsefelder der Sowchose Munaska lagen, und auf dem Marktplatz, vor der Kirche und auf der breiten Straße, die zum Krankenhaus führte, landeten jetzt weitere Hubschrauber. Rotarmisten mit Maschinenpistolen und in Kampfuniform, den Stahlhelm auf dem Kopf, sprangen aus den großen Transporthubschraubern und formierten sich zu Kolonnen. Von Shigansk, das hatte man der Sowchosenleitung gemeldet, rollten Kolonnen von Lastwagen heran; auf der Lena rauschte seit zwei Stunden eine Motorbootflotte von sechs Militärbooten nach Norden. Vier Hubschrauber kreisten über der Taiga und kontrollierten aus der Luft die ganze Umgebung von Nowo Bulinskij.
    Katharina Kirstaskaja trat vom Fenster zurück. Der Samowar summte, der Tee war fertig.
    »Wollen Sie einen Krieg führen, Matweij Nikiforowitsch?« fragte sie und nahm Karpuschins Teetasse. »Welch ein Aufmarsch von Soldaten!«
    »Drei Kompanien, Genossin Kirstaskaja!« sagte Karpuschin stolz.
    »Für einen einzigen Mann?«
    »Er ist gefährlicher als eine ganze Armee.«
    »Sie übertreiben, Väterchen.«
    »Wer weiß, was Semjonow für mich bedeutet?« Karpuschin nahm die gefüllte Tasse entgegen, süßte den Tee mit einem Löffel Honig und schöpfte etwas Rahm aus dem Porzellantopf. Marfa Babkinskaja, das stolze Vögelchen, hielt ebenfalls ihre Tasse hin. Die Kirstaskaja übersah sie, so deutlich, daß Marfa rot wurde und die Lippen vor heller Wut zusammenpreßte. Karpuschin sah über den Tassenrand die Ärztin lange an. So sicher wirkte sie, so kalt, so entschlossen, so sinnlos tapfer. »Es ist ein Zweikampf, Töchterchen«, sagte er langsam. »Die Politik! Der Spionageauftrag! Das Prestige der sowjetischen Abwehr! Das Ansehen des KGB! Das sind alles untergeordnete Dinge, Katharina Iwanowna. Sie wissen, daß ich amtlich tot bin.«
    »Ich habe es gelesen, Matweij Nikiforowitsch.«
    »Und geglaubt?«
    »Natürlich. Wer kommt auf den Gedanken, daß der Kreml Lebende begräbt?«
    »Alles kann man, mein Täubchen. Alles! Sagen Sie mir, was in Rußland nicht möglich wäre?« Karpuschin nippte wieder an seinem süßen goldgelben chinesischen Tee. Marfa war aufgestanden und selbst zum Samowar gegangen. Sie füllte sich ihre Tasse und empfand große Lust, den heißen Tee der Kirstaskaja von hinten in den Nacken und über die Schultern zu schütten.
    »Ich bin tot«, fuhr Karpuschin fort. »Meine Frau hat wieder geheiratet und ist weggezogen nach Kiew. Meine Karriere ist unterbrochen, solange ich Semjonow nicht finde. Ich werde nie wieder Karpuschin sein, wenn Semjonow weiterlebt. Sein Leben ist mein Untergang … sein Tod ist meine Auferstehung! Begreifen Sie nun, was Semjonow für mich bedeutet? Und deshalb frage ich Sie zum letztenmal, Katharina Iwanowna: Wo ist er?«
    Sie fielen gar nicht auf in dem Gewimmel von Menschen, das in den großen Hallen des Flugplatzes von Irkutsk herrschte, der Mann mit den blonden Stoppelhaaren, die junge schwarzhaarige Frau und das Kind in der ledernen Tragtasche. Ungehindert gingen sie durch die Kontrolle, zeigten ihre Pässe, die Milizbeamten lasen flüchtig, und das war die einzige kritische Minute, die sie erlebten. Dann sagte der Beamte freundlich: »In Ordnung, Genosse Semjonow. Der nächste …«
    Jetzt muß ein Funken springen, dachte Semjonow, als er das Gepäck aufnahm und die drei Säcke an Lederriemen über die Schulter warf, so daß zwei auf seinem Rücken hingen und einer vor seiner Brust. Ludmilla stand schon weit in der Halle, Nadja in der Tasche neben sich, und wartete. Aber nichts geschah. Die Menschen hinter Semjonow drängten nach, halfen ihm, die großen Taschen zu ergreifen und schoben ihn weiter.
    »Sie haben wohl einen Umzug vor, Genosse?« fragte jemand.
    Und Semjonow nickte und sagte: »So ist's, Brüderchen. Eine gute Stellung habe ich in Taschkent bekommen. In einer Baumwollspinnerei. Wenn du mir sagst, wie ich nach Taschkent komme, sorge ich dafür, daß du eine besonders haltbare Unterhose bekommst.«
    Der Mann, ein Jakute war's, lachte über diesen Witz

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