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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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rauh und richtete sich auf. Er trug die kleine Nadja zu der ledernen Tragtasche und setzte sie hinein in das weiche Polster aus Lammfell. Schliemann, Wancke und die anderen Männer aus Bulinskij griffen nach den Säcken und Beuteln und trugen sie zum Boot. Die Kirstaskaja stand da, zum erstenmal in ihrem Leben tatenlos und ohne Kraft.
    »Alles im Boot!« rief Schliemann von draußen. »Das Pferdchen holen wir morgen! Kommt jetzt … wer weiß, was in Bulinskij schon los ist!«
    Semjonow und Ludmilla faßten sich wieder an den Händen. Sie gingen hinaus, hinüber zum kleinen Stall, und stellten sich vor das kleine, struppige, treue Pferdchen.
    »Leb wohl, moj drug«, sagte Ludmilla leise und streichelte es zwischen den Augen. Dann umarmte sie es und drückte den schmalen, schnaubenden Kopf an sich. »Mein Gäulchen«, sagte sie mit leiser Stimme. »Mein liebes, liebes Gäulchen …«
    Semjonow biß die Zähne zusammen und tätschelte den Hals des Pferdchens.
    Dann waren sie auf dem Boot und sahen zurück auf ihr kleines, im Blau des Tages versinkendes Paradies. Die Halbinsel mit dem Schilf, das moosbewachsene Dach der Goldgräberhütte, dahinter die hohe, dichte grüne Wand der Taiga, in denen der Bär hauste und im Winter der Wolf heulte.
    Das Wasser der Muna glitzerte silbern. Von fern rauschte die Stromschnelle, die zum Schicksal Haffners geworden war. Das Hämmern von Preßluftbohrern unterbrach in Abständen die Stille. Ein Kommando der Achatschleiferei war dabei, neue Rohsteine zu brechen.
    »Unsere Welt«, sagte Semjonow leise und legte den Arm um Ludmillas Schulter. »Unsere Welt versinkt …«
    Am Nachmittag waren sie in Shigansk.
    Kurz bevor sie anlegten, erlebten Semjonow und Ludmilla eine Überraschung, die ihnen ans Herz griff. Schliemann legte auf einen Klapptisch einen Haufen Rubelscheine.
    »Das ist für euch«, sagte er dabei. »Dreitausend Rubel beträgt dein Anteil an der Achatschleiferei, Pawel Konstantinowitsch. Und als der Major bei der Ärztin anrief, haben wir sofort im Ort gesammelt. Fast jeder hat zehn Rubel gegeben. Schamow sogar zwanzig. Eintausenddreihundertfünfundsiebzig Rubel sind so noch zusammengekommen, als letzter Gruß von Nowo Bulinskij.« Schliemanns Stimme schwankte. Um seine Rührung zu verbergen, klopfte er auf den Rubelhaufen. »Nimm!« schrie er. »Glotz mich nicht so an! Nimm das Geld.«
    »Viertausenddreihundertfünfundsiebzig Rubel.« Semjonows Lippen zitterten. »Ihr macht uns zu reichen Leuten, Egonowitsch. Damit können wir uns irgendwo ein neues Leben aufbauen.«
    Sie sahen sich an, die beiden Männer, die aussahen wie wettergegerbte Sibiriaken und doch Deutsche waren und in diesem Augenblick des Abschieds wieder zurückkehrten zu ihrem wahren Wesen.
    Semjonow nagte an der Unterlippe. Er wollte noch etwas sagen, aber er tat es nicht, weil er seiner Stimme nicht mehr sicher war.
    »In einer halben Stunde fährt die Bahn nach Jakutsk«, sagte Schliemann warnend.
    Semjonow nickte. Er umfaßte Ludmilla, die zu weinen begann, und nahm mit der anderen Hand die Tragtasche, in der die kleine Nadja schlief. Während Schliemann und Wancke mit dem Gepäck schon auf dem Steg waren, drehte er sich noch einmal nach der Kirstaskaja um.
    Sie stand an der Bordwand, hatte die Fäuste geballt und schlug in stummer Verzweiflung an das Eisen, immer und immer wieder. Ein dumpfer Paukenwirbel unsagbaren Schmerzes.
    Dann begann Semjonow zu rennen. Er zog Ludmilla mit sich, rannte über den Steg an Land, rannte zwischen Karren und Schuppen in die Stadt, ohne sich umzusehen, ohne noch einmal die Lena zu grüßen oder das weiße Boot und die Frauengestalt, die mit ihren Fäusten an die Bordwände schlug.
    Eine halbe Stunde später saßen sie in der Kleinbahn nach Jakutsk, die hauptsächlich Holz befördert und nur zwei Personenwagen mit sich führt. Sie fuhren zwischen Taiga und Lena nach Süden, an der Straße entlang, die Semjonow mit seinem Lastwagen gefahren war, als er vor Karpuschin flüchtete.
    Es war Nacht, als sie in Jakutsk ankamen. Der nächste Zug nach Irkutsk fuhr nicht, weil es gar keinen gab. Die in den Karten eingezeichnete Strecke wurde erst in drei oder vier Jahren eröffnet. Solange stand sie als ›geplant‹ auf den Karten und im StreckenVerzeichnis. Nur Züge in die nächste Umgebung von Jakutsk gab es. Kleinbahnen für die Bauern und Händler.
    »Ihr müßt fliegen, Genossen!« sagte der Bahnhofsvorsteher, an den sich Semjonow wandte. »Ein anständiger Bürger macht sich

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