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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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rückt noch enger an sie heran. Er küsst ihren Nacken und schmiegt sich mit seinem Kopf dicht an den ihren. Er riecht ihre warme Haut, sie ist wohl gerade spazieren gegangen, denn die Haut riecht nach Laub, Pilzen und feinem Moder. Sie dreht sich ebenfalls ein wenig zu ihm und umschlingt jetzt seinen Oberkörper mit beiden Armen.

    Sie liegen, dicht aneinandergeschmiegt, wie zwei Lebewesen da, die einem schlimmen Krieg gerade noch entkommen sind. Es ist etwas Zutrauliches, aber auch Hilfloses
in diesem Liegen, wir liegen da wie zwei Geschwister, denkt er, wie Geschwister, die ihre Eltern verloren haben, oder wie winzige Erdwesen, die ihr ganzes bisheriges Leben in Höhlen oder unter der Erde verbrachten und das Licht noch scheuen. Ein Beobachter würde vielleicht lachen, wie sie da liegen und immer kleiner werden und sich ineinander verschrauben und die ganze andere Welt von sich abtun. Es ist aber nicht zum Lachen, nein, es ist vielmehr ernst, leicht und schön, ja, es ist von einer unerzwungenen, natürlichen Schönheit, wie er sie noch nie erlebt hat.

    Er greift nach der zweiten Decke und breitet sie über ihren Körpern aus, dann bewegen sie sich nicht mehr. Langsam werden sie schwerer und schwerer, er spürt ihren weichen, regelmäßigen Atem und glaubt, ihr Herz schlagen zu hören. Wir tauchen ab, denkt er, während er die wohltuende große Wärme spürt, die sich jetzt allmählich unter der Decke breitmacht.

    Dann nur noch ein leichtes Träumen – und die inneren Bilder driften hinüber zu fernen Bänken, zu Meeresküsten und blendenden Stränden und zu kleinen, spitzen Zelten in den leuchtenden Dünen.

35
    BEVOR SIE leise aufsteht, blickt sie noch eine Weile still gegen die helle Decke. Er liegt noch immer dicht neben ihr und scheint zu träumen, sie dreht den Kopf ein wenig zur Seite und hat seine breite, offene Stirn und die dunklen Lippen ganz nahe vor sich. Sogar in dieser Ruhelage wirkt er noch aufmerksam und hellhörig, als entginge ihm auch im Schlaf nichts von dem, was um ihn herum passiert. Sie würde seinen Kopf jetzt gerne in die Arme nehmen oder auf ihren Schoß legen, es wäre schön, diese Lippen zu küssen, langsam und lange, bis sie wieder mehr an Leben gewännen.

    Wild, Wacholder, Sellerie, Kohlrabi und Äpfel – sie zieht den Duft, der noch immer wie eine schwere Wolke im Zimmer steht, tief in sich hinein. Sie hat schon verstanden, dass er diese Mahlzeit eigens für sie gekocht und serviert hat, denn eine solche Mahlzeit würde man in den Restaurants dieses Hotels nicht bekommen. Es ist eine schlichte, reduzierte, puristische Mahlzeit, die auf den starken Eigengeschmack einfachster Nahrungsmittel setzt. So etwas hätte auch von ihr stammen können, obwohl sie sich vielleicht doch nicht getraut hätte, nur ein paar hauchdünne Selleriescheiben als Vorspeise zu servieren. Dabei war gerade das richtig, denn die Selleriescheiben schmeckten leicht, körnig und rauchig und waren deshalb der ideale Auftakt für den dann folgenden Rehrücken.

    Sie betrachtet ihren Geliebten weiter, sie kann den Blick gar nicht abwenden, wie sein erhitzter Kopf auf der dunklen Decke liegt und ein schmales Rinnsal Schweiß sich von den Haarpartien hinter dem Ohr bis zum Hals zieht. Der Schweiß glänzt ein wenig, wie der Schweiß eines Sportlers im Wettkampf, wirkt aber auch ein wenig bedrohlich, wie eine Verletzung. Sie benetzt ihren Zeigefinger mit ein wenig Spucke und führt ihn vorsichtig an dem feuchten Rinnsal entlang, die Spitze des Fingers fängt den Schweiß etwas auf, so dass nur noch eine kleine, helle Spur auf der Haut übrig bleibt, die sofort eintrocknet.

    Sie streckt ihre Hand aus und fährt ihm langsam über das Haar, sie möchte es nur berühren, sehr vorsichtig, sie möchte nicht, dass er es bemerkt. Sein Haar ist unglaublich dicht und fühlt sich warm an wie feiner Pelz, sie streift immer wieder darüber, als müsste sie ihn beruhigen oder trösten.

    Dann schlägt sie die obere Decke ein wenig zur Seite, er liegt neben ihr wie ein übergroßer, schlanker Embryo, der in einem weiten, fernen Traumland schwerelos umhertreibt. Die sphärischen Klänge, die Herztöne, das Archiv vor der japanischen Küste – sie erinnert sich an das, was ihr am Vormittag alles durch den Kopf ging. Irgendwann möchte sie mit ihm an diese ferne Küste verreisen und sich auf die Suche machen nach Georgs Herztönen und nach ihren eigenen. Sie zieht ihre Knie an und dreht sich etwas auf der Stelle, dann beugt sie

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