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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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erzählt. Da habe ich es eben mit den Büchern versucht, und über die Bücher sind wir dann auch ins Gespräch
gekommen. Als ich merkte, dass ich Dir auf diese Weise etwas entlocken konnte, erinnerte mich das an meine gemeinsame Zeit mit Georg. Denn – was soll ich sagen? Mit ihm ist es ja ganz ähnlich gewesen. Er kam wie einer, der sich verlaufen hatte, in meine Buchhandlung, und er wollte schon wieder auf und davon, als ihn irgendetwas noch einmal zu mir zurückzog. Auch ihm habe ich dann etwas zu trinken gegeben, keinen Tee, sondern schwerere Sachen. Aber auch Georg erzählte nichts von sich selbst, nein, dazu war er nicht bereit. Wir kamen auf dem Weg über die Bücher miteinander ins Gespräch, und genau dieses Gespräch setzten wir dann das restliche Leben bis zu seinem Tod fort. Alles Private, alles, was er zuvor erlebt hatte und was ihn weiß Gott noch beschäftigte und bedrückte, wurde zwischen uns kaum erwähnt, es gehörte nach Georgs Vorstellung nicht in sein neues Leben. Und so habe ich mir sein altes, früheres Leben aus den wenigen Andeutungen, die er machte, und aus dem, was er zu unseren Lektüren dann jeweils beisteuerte, selbst zusammengesetzt. Deshalb habe ich zu notieren und zu schreiben begonnen, ich wollte festhalten, was er gesagt hatte, jede Kleinigkeit, jede mir auf den ersten Blick noch so unwichtig erscheinende Wendung. Immer wieder bin ich dann allein und im Stillen meine Notizhefte durchgegangen, ich habe zu ergründen versucht, was den Mann, den ich so stark und unbedingt liebte, umtrieb und beschäftigte, ich habe versucht, hinter seine Geheimnisse zu kommen.

    Er nimmt einen weiteren Schluck Tee und nickt, er ist hellwach, in ihm hat sich eine leichte Euphorie festgesetzt,
die er kaum noch unterdrücken kann. Am liebsten würde er Katharina umarmen, und es würde ihm auch nicht das Geringste ausmachen, laut zu singen und deshalb von anderen Hotelgästen für verrückt gehalten zu werden.
    – Diese Notizen, sagt er, standen also am Anfang Deines Schreibens. Und von diesem Fundament aus hast Du später, als Georg gestorben war, weitergemacht, habe ich recht?
    – Ja, so war das. Die Notizen, die ich mir hier täglich zu den Lektüren der Hotelgäste mache – sie sind nichts anderes als eine Fortsetzung meines früheren Schreibens.
    – Hast Du Dir etwa auch über unsere Gespräche Notizen gemacht?
    – Ja, Johannes, das habe ich, und genau darüber wollte ich mit Dir sprechen.
    – Sind es umfangreiche Notizen?
    – Inzwischen sind es die umfangreichsten, die ich überhaupt habe.
    – Und Du bietest mir an, sie zu lesen?
    – Ja, ich biete Dir an, diese Notizen zu lesen, ich habe es mir genau überlegt. Außer den Notizen, die ich über Georg und unsere gemeinsamen Lektüren gemacht habe, werden es dann aber die einzigen sein, die ich Dir zeige. Ich möchte vor allem wissen, ob sie sich von den Notizen, die Du bereits von mir kennst, unterscheiden, ja, ich möchte von Dir erfahren, ob sie dieselbe Schreibweise haben oder ganz und gar anders sind.
    – Das heißt also, ich soll mich jetzt erneut in Dein kleines Kabinett setzen und gleich mit der Lektüre anfangen?
    – Nein, diesmal machen wir es anders. Ich gebe Dir meine Notizen mit, bring sie hinauf auf Dein Zimmer
und bring sie mir später, wenn Du einmal hineingeschaut hast, zurück. Sollen wir es so machen? Bist Du einverstanden?
    – Wir haben nicht mehr viel Zeit, Katharina. Ich werde einen Blick hineinwerfen, aber ich werde sie bestimmt nicht alle lesen können.
    – Nein, natürlich nicht. Es kommt aber nicht darauf an, dass Du sie alle liest, Du sollst Dir nur einen Eindruck verschaffen.
    – Gut, dann gib sie mir, und ich ziehe mich dann gleich damit auf mein Zimmer zurück.
    – Wir werden uns am Abend nicht sehen, oder?
    – Nein, ich werde den Abend wohl mit Jule verbringen.
    – Ja, das habe ich mir schon gedacht. Denk aber bitte daran, dass Du mir noch etwas zu meinen Texten sagst, Du hattest in dieser Hinsicht noch einige Ideen.
    – Ja, ich habe das nicht vergessen, sei ohne Sorge. Ich gehe jetzt mit Deinen Notizen aufs Zimmer, ich lese ein Stück und dann komme ich noch einmal zu Dir.
    – Gegen 18 Uhr schließe ich die Buchhandlung, das weißt Du.
    – Dann werde ich spätestens gegen 18 Uhr wieder hier sein.

    Er sieht, dass sie erleichtert, ja beinahe gelöst wirkt. Sie verschwindet wieder hinter dem geheimnisvollen Vorhang, kommt aber schon nach wenigen Sekunden zurück. Sie hält einen großen Stapel von

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