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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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mehr als zwei Menschen benutzt und bewohnt wird. Schöne Einfachheit, denkt er, dieser Raum ist genau der richtige für unsere Begegnung, seine Leere belässt alles in der Schwebe.
    Die Blumen hat sie aus dem Zimmer entfernt, ja, auch das ist richtig, denn jetzt ist dieses Zimmer nicht mehr der morgendliche oder mittägliche Raum der großen Mahlzeiten, sondern ein Raum der sich in der Nacht verlierenden Berührungen. Das Kosten, das Tasten, das Lauschen – sie hat es wahrhaftig geschafft, eine so konzentrierte und dichte Atmosphäre zu schaffen, dass man von nichts mehr abgelenkt wird.

    Als sie gegessen haben, rückt sie die niedrigen Tische noch mehr in den Hintergrund und schenkt noch einmal Wein nach. Sie trinken beide fast zugleich einen Schluck, und sie nehmen sich beide zugleich an den Händen und wechseln dann rasch hinüber zur Schlafstätte.

    Sie legen sich nebeneinander auf das große Rechteck, das von mehreren Decken und Kissen bedeckt ist. Sie achten darauf aber nicht, sondern strecken sich aus und schmiegen sich eng aneinander. Sie hält seinen Kopf mit beiden Händen, nähert sich aber nicht mit ihren Lippen, sondern schaut ihn nur aus geringer Entfernung an, ohne sich zu bewegen. Er sieht, wie ihr Blick sein Gesicht jetzt erforscht,
und er hält still, während er selbst ganz aus der Nähe nun ihr blondes Haar und die leicht rötlichen Haaransätze erkennt. Dann führt sie ihre Lippen in unendlich langsamer, gedehnter Bewegung an seine Stirn.

    Er spürt diese Berührung wie einen Schock, sie küsst seine Stirn, gleitet mit ihren Lippen dann aber weiter bis zu seinem Hals, während ihre beiden Hände weiter seinen Kopf halten. Er schließt die Augen und sieht sie trinken, sie trinkt seine Haut. Es ist etwas unendlich Befreiendes in diesem Gefühl, es ist, als kehrte sie mit jedem vorsichtig tastenden Kuss und mit jeder Berührung sein Innerstes ein wenig mehr nach außen. Nichts mehr denken, nur noch blicken und schauen …, wie die Schutzschicht der Haut sich in ein feines, poröses Gewebe verwandelt und die Adern plötzlich wieder zu spüren sind. Das Strömen des Bluts, der tiefer werdende Atem – als würden alle Lasten endlich verschwinden.

    Er öffnet die Augen wieder und nimmt nun auch ihren Kopf in beide Hände, er berührt ihre Stirn und die dünne, glatte Haut unter den Augen mit seinen Lippen, dann öffnet er den Gürtel ihres Kimonos und gleitet mit einer Hand unter den sich aufwölbenden Stoff. Sie rührt sich nicht, wie erstarrt spürt sie den Bewegungen seiner Hand nach, die zu ihrem Rücken gleiten und ihn abtasten.

    Er spürt, wie ein leichter Wärmezug zwischen ihren nackten Körpern entsteht, er schlägt seinen Kimono noch weiter zurück und führt ihre Körper dicht zueinander.
Sie berühren sich, da durchfährt ihren Oberkörper ein Zucken, sie atmet tief durch und seufzt einmal kurz auf, dann reagiert sie schnell mit beiden Armen und umschlingt seinen Rücken so fest, dass er vor Überwältigung rascher zu atmen beginnt.

    Die Bilder erreichen nun ein schnelleres Tempo, er sieht ihre vibrierenden Lippen und die feuchten Haarlocken, die auf ihre Stirn fallen, eine feine Ader an ihrem Hals pocht, und ihre Hände fassen immer wieder von Neuem nach seinem Rücken, als wollten sie ein immer größer werdendes Gelände zu fassen bekommen.

    Auch seine Küsse werden rascher, als müssten sie die Körper für den immer intensiveren Kontakt präparieren: nichts auslassen, alles benetzen. Für einen Moment kann er sich nicht vorstellen, sich jemals wieder von diesem anderen Körper zu trennen, wie muss sich das anfühlen, sich wieder zu separieren und den Gedanken und Überlegungen langsam wieder Raum zu geben?

    Im schwarzen Hintergrund der Nacht glaubt er einige ferne Bilder zu sehen, er erinnert sich an Bildsequenzen japanischer Holzschnitte, auf denen die nackten Körper unter schweren Drapierungen von Kleidern oder Decken versteckt waren und nur das Mienenspiel der Gesichter den Grad der Erregung verriet. Das Matterwerden der weiblichen Wangen, das heftige Verschließen der Augen wie kurz vor einem starken narkotischen Schlummer, der gestreckte, dünner werdende Hals, fiebernd wie der Hals eines Vogels, der sich zum Himmel reckt …

    Da bemerken sie beinahe zugleich, wie der letzte Halt, den es in diesem Raum noch zu geben schien, nachgibt, die schwingenden, klirrenden Töne der Musik verebben, und eine große Stille breitet sich aus. Keine Klänge, keine Speisen mehr, die Zeit

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