Liebesnaehe
kennen.
Manchmal empfindet er die Strenge seinen Gefühlen gegenüber sogar als so stark und beengend, dass er am liebsten aufschreien oder sich sonstwie heftig oder unkontrolliert gebärden würde. Raus mit den verqueren Ideen, weg mit der dummen Kontrolle! Es ist schon vorgekommen, dass er während der Rückfahrt von einer mehrstündigen Abendgesellschaft nur deshalb irgendwo angehalten hat, um sich einmal die Seele aus dem Leib brüllen zu können. Alles, was er hat sagen wollen, aber nicht sagen konnte, brüllte er aus sich heraus, seine ganze Einsamkeit, seine ganze Zurückhaltung. Niemand, da ist er sicher, würde ihm so etwas zutrauen, alle halten ihn für
einen Menschen, der die Balance seiner Gefühle im Griff hat, aber da ist etwas Unkontrollierbares, er beherrscht seine Gefühle zu sehr, er erlaubt ihnen kein Abdriften.
Stimmt das? Und stimmt es auch jetzt, in diesen Stunden, seit er die Bekanntschaft von Jule Danner gemacht hat? Nein, es stimmt nicht. Vorsichtig, aber doch unübersehbar hat er sich etwas getraut, er verschickt Nachrichten, er verfolgt Spuren, er antwortet auf ein Werben, und er wirbt so offen wie noch nie um die Zuneigung einer Frau.
Schluss, aus, er will nicht länger über diese Veränderungen nachdenken, das führt jetzt nicht weiter. Stattdessen möchte er einen kleinen Gang durch die Hotelanlage machen, denn während seines letzten Besuchs hatte er nicht Zeit genug, um sich in Ruhe überall umzuschauen.
Er geht zum Lift und fährt ins Untergeschoss, hier sollen sich die großen Bäder und Saunen befinden, seltsam, dass es derart still ist und er keinem Menschen begegnet. Für den Bäder- und Saunenbereich benötigt er seine Zimmerkarte, die er zum Öffnen der Eingangstür einsetzen muss, sie lässt sich damit leicht öffnen und fällt hinter ihm rasch und schwer wieder ins Schloss. Er zieht seine Schuhe aus und geht barfuß weiter, es ist angenehm warm hier, er kommt an einer Reihe von Saunen vorbei und liest die neben den Türen angebrachten Texte, die erläutern, wie lange man sich in den großen, holzgetäfelten Kabinen aufhalten sollte und welche angeblich fantastischen Folgen solche Aufenthalte für das Wohlbefinden haben.
Auch diese Kabinen sind menschenleer, er öffnet eine von ihnen, und sofort schlägt ihm ein Schub warmer Luft entgegen, als böte die Wärme ihm einen Dampfmantel an, um ihn einzuhüllen. Er schließt die Tür rasch wieder, obwohl es ihm dort drinnen gefällt, der Raum wirkt mit all seinem hellen Holz schlicht und beinahe sakral, und es duftet dort stark nach einem Gewürz, das er kennt, dessen Name ihm aber nicht einfällt.
An die Saunen schließt sich ein Bad an, es ist viel größer als der übersichtliche Pool auf dem Dach, ja, dieses Bad ist etwas für richtige Schwimmer, die sich verausgaben wollen. Große, halbrunde Fenster geben den Blick auf die Landschaft frei, dort draußen hat sich das Sonnenlicht jetzt überall ausgebreitet, kein Wunder, dass es niemanden hierher, in das Untergeschoss, zieht. Er nimmt für ein paar Minuten Platz und genießt die Stille und die Schönheit der still vor ihm liegenden Wasserfläche, er kann sich kaum eine stärkere Magie vorstellen als die, die von still daliegendem Wasser ausgeht, er fühlt sich davon sofort angezogen, am liebsten würde er seine Kleider einfach auf den nächstbesten Stuhl werfen und hineinspringen.
Aber nein, er hat heute Morgen ja bereits ausgiebig geschwommen, das reicht vorerst. Er macht kehrt und biegt, nachdem er die Saunalandschaft wieder passiert hat, in einen Seitenflügel ab. Als er erneut einen geschlossenen Eingangsbereich hinter sich gelassen hat, erreicht er das türkische Bad. Langsam betritt er einen lang gestreckten Raum mit einer Heerschar dünner, eleganter Säulen und runden, geschwungenen Gewölbedecken.
Auch dieser Raum wirkt sakral, wie eine geheimnisvolle, entlegene Krypta, er hat sogar ein Mittelschiff und zwei kleinere Seitenschiffe, das Mittelschiff läuft auf einen leise plätschernden Marmorbrunnen zu, und in den Seitenschiffen befinden sich lauter bequeme Liegen und Sitze.
Der Brunnen zieht ihn an, er geht hin und trinkt aus der Hand einen Schluck des klaren, sehr kalten Wassers, daneben gibt es eine Ablage, auf der er kleine Tabletts mit türkischen Süßigkeiten entdeckt. Er probiert die frischen, längs aufgeschnittenen und mit Mandeln gefüllten Datteln, und er probiert den türkischen Honig mit seinen hellweißen Kokosmänteln. Es gibt auch
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