Liebesnaehe
nicht unterhalten. Ich habe dir von meinen Ausstellungen und meiner Arbeit erzählt, aber ich habe nicht von meinen einsamen Nächten gesprochen. Oder habe ich das? Habe ich das etwa?
– Nicht direkt, aber ich habe mir so etwas gedacht.
– Wieso? Wie bist Du darauf gekommen?
– Ich habe nach Deinen Freunden und Bekannten gefragt, und Du hast keinen einzigen Namen genannt, nein, Du hast von all diesen Bekannten immer nur wie von einer anonymen Gruppe geredet, die Dich hierhin und dorthin begleitet. Es gab keine Geschichten, nichts, Du hast nichts von diesen Abenden erzählt, sondern sie meist nur mit zwei, drei Sätzen gestreift: »Dann sind wir noch ins Tempodrom gezogen, es war ganz nett …« Und weiter? Weiter nichts? Nein, weiter nichts! Mehrmals habe ich nachgefragt, weil ich neugierig war, ob in diesen Runden auch Menschen waren, die Dir besonders viel bedeuteten. Natürlich habe ich nicht direkt nach echten Freunden gefragt, das nicht, aber ich habe ein paar Köder ausgelegt. Du hast sie ignoriert, Du hast diese Fragen einfach links liegenlassen und wieder von Deiner Arbeit erzählt.
– Seltsam, ich habe das alles gar nicht bemerkt.
– Nein, Du hast es nicht bemerkt. Auch mir ist es nur deshalb aufgefallen, weil Du mir früher viel von Dir erzählt hast, Du weißt, was ich meine, ich meine die Zeit nach dem Tod Deines Vaters. Da haben wir lange in meiner Buchhandlung zusammengesessen, und da haben wir viel über sehr private Dinge gesprochen.
– Ja, Du hast recht, das war eine gute und wichtige Zeit. Ich war vollkommen durcheinander, damals, nach Vaters Tod, ich war wie benommen, wochen- und monatelang, ich dachte, ich finde nie mehr richtig ins Leben zurück. Und Dir erging es ja ähnlich, wir waren beide Leidensgenossen, denn wir hatten beide den liebsten Menschen unseres Lebens verloren, Du den Mann, ich den Vater. Damals, als wir zusammen in Deiner Buchhandlung hockten, habe ich manchmal gedacht, dass Georg uns zuschaut und dass er genau mitbekommt, wie wir uns über ihn Gedanken machen und über ihn reden. Wir waren füreinander die idealen Therapeutinnen, das glaube ich jedenfalls heute, noch nie habe ich so viele Wochen mit einem einzigen Menschen nur über das gesprochen, was mich bedrückte.
– Ja, Jule, diese Gespräche haben uns eng miteinander verbunden, so dass wir damals sehr gute Freundinnen geworden sind.
– Wir sind sehr gute Freundinnen geworden, weil wir ein gemeinsames Thema hatten, das uns brennend interessierte: Georg – das war unser Thema, wir haben uns sehr viel und sehr leidenschaftlich über Georg unterhalten, erinnerst Du Dich?
– Ja natürlich …
Katharina wird plötzlich still, sie fährt sich durchs Haar, als wollte sie die Erinnerungen vertreiben. Als Jule es bemerkt, setzt sie rasch wieder an:
– Bist Du mir böse, wenn ich Dir nun schon wieder von meiner Arbeit erzähle?
Katharina schluckt einen Moment, dann lächelt sie und streicht ihrer Freundin kurz mit der Rechten über den Rücken.
– Na los, erzähl schon! Du weißt doch, dass ich alles über Deine Projekte wissen will.
– Also gut. Meine Münchener Ausstellung, an der ich jetzt arbeite, kreist um das »Kopfkissenbuch«. Das Ganze wird eine Performance, die ich mit Bildern, Filmen und Texten begleite. Stell Dir einen kleinen japanischen Wohnraum vor, eine der typischen japanischen Wohnstuben. In diesem Raum werde ich sitzen und schreiben und mich in die Hofdame Sei Shonagon am japanischen Kaiserhof verwandeln. Auf großen Leinwänden, die wie Waben um diesen kleinen Intensiv-Raum gruppiert sind, zeige ich Bilder, die ich zu den Shonagon-Texten gemalt und eigene Texte, die ich in ihrem Tonfall geschrieben habe. Und auf der äußersten, letzten Leinwand bekommt man die Videos zu sehen, die ich gerade hier in diesem Hotel drehe, sie sind mit altjapanischer, sehr strenger, sehr meditativer Musik unterlegt: Bambusflöten, Trommeln, eine japanische Zither, nicht mehr.
– Was sind das für Videos, die Du hier drehst? Und warum ausgerechnet hier?
– Ich filme mich selbst in den verschiedensten japanischen Kleidungsstücken, ich filme mich in Posen und Gesten, die an das »Kopfkissenbuch« erinnern, ich filme mich schreibend, lesend, schwimmend, wartend, ich filme mich, wie ich durch die unendlich langen, abgedunkelten Gänge dieses Hotels gehe. Das Hotel ist mein Kaiserpalast, es ist eine fremde, irritierende Szenerie, es ist ein fantastischer, literarischer Ort, mit geheimen Bädern
und
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