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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Lektürevorlieben ihrer Kunden befinden. Sie holt zwei der Kästen heraus und stellt sie nebeneinander auf einen Tisch. Dann sucht sie nach der Karteikarte, auf der sie die Leseeindrücke von Kunden zum »Kopfkissenbuch« notiert hat. Sie findet die Karte schnell, und sie entdeckt, dass es nur einen einzigen Eintrag gibt. Richtig, es gibt nur einen einzigen Eintrag, sie hat das Buch bisher nur an Jule Danner verschenkt, von Jule Danner aber steht hier noch nichts, natürlich nicht, Jule hat ja erst vor wenigen Minuten von ihrer Lektüre erzählt. Was steht also dort, auf der Karte?

    Das »Kopfkissenbuch« war in den Jahren, als ich Georg noch nicht richtig kannte, mein Lieblingsbuch. Immer wieder habe ich darin gelesen, es übte einen seltsam starken Reiz auf mich aus. Lange Zeit kam ich nicht dahinter, woran das lag und was mich an diesem Buch so faszinierte. Die Ruhe? Die Stille? Diese schöne Praxis der Konzentration? Ja, gewiss, all das faszinierte mich sehr. Im Grunde aber ist das »Kopfkissenbuch« ein Buch über die Sehnsucht, doch damals ahnte ich nicht, wonach ich mich sehnte. Erst als ich mit Georg zusammen war, wusste ich das, ja, seither wusste ich, wonach ich mich die ganze Zeit so sehr gesehnt hatte. K.

19
    ER KOMMT oben im zweiten Stock an und balanciert den kleinen Teller mit den türkischen Süßigkeiten und dem Glas Tee vorsichtig in der Rechten, er glaubt fest, dass ihm alle Wege offen stehen, und er denkt nicht einmal eine Sekunde darüber nach, wie es ihm gelingen könnte, Jule Danners Zimmer heimlich zu betreten.

    Wie schon gestern sind die Putz- und Aufräumarbeiten in den Hotelzimmern in vollem Gang, er erkennt auch sofort die junge Frau, der er bereits begegnet ist und die ihm so freundlich geholfen hat. Sie steht auf dem Flur, neben einem der mit Putzmitteln, Eimern und Bettzeug beladenen Rollwägen, sie hält anscheinend eine Liste in der Hand, die sie Punkt für Punkt durchgeht und auf der sie dann jeden Posten einzeln abhakt. Sie stutzt kurz, als sie ihn sieht, dann bemerkt sie den kleinen Teller, den er noch immer vorsichtig in der Rechten hält.
    – Guten Morgen, sagt sie, noch eine Spur freundlicher als gestern.
    – Guten Morgen, antwortet er und fährt gleich fort: Sie ahnen schon, was ich mit diesen schönen Dingen hier vorhabe?

    Die junge Frau lächelt und legt die Liste zur Seite.
    – Ich vermute, das ist ein Geschenk für Frau Danner.
    – Richtig, eine kleine Aufmerksamkeit. Haben Sie das Zimmer schon aufgeräumt? Oder darf ich Ihnen den Teller geben, damit Sie ihn in Frau Danners Zimmer abstellen?

    Die junge Frau scheint einen Moment zu überlegen, dann aber sagt sie:
    – Frau Danner hat mich gebeten, das Zimmer nicht aufzuräumen, sondern alles so zu belassen, wie es ist. Wissen Sie was? Ich schließe Ihnen das Zimmer kurz auf, dann können Sie den Teller genau dort hinstellen, wo Sie es am besten finden.
    – Oh, das ist perfekt, antwortet er.

    Sie will mit ihm hinüber zu Jules Zimmer gehen, als ihr noch etwas einfällt.
    – Moment, sagt sie, Frau Danner hat noch etwas bestellt, das ich gleich mit in ihrem Zimmer deponieren kann.

    Sie schaut auf ihrer Liste nach, dann geht sie die vielen Sachen durch, die sich auf ihrem schweren Wagen befinden. Unterhalb der Lagen mit Bettzeug liegt auf einem kleinen, separaten Fach ein Kleidungsstück, das sie hervorzieht und auseinanderfaltet.
    – Das muss es sein, sagt die junge Frau leise zu sich selbst und wendet sich dann an ihn: Frau Danner hat nämlich einen Kimono bestellt, und das hier ist doch wohl ein Kimono.

    Er schaut sich das dunkelrote Kleidungsstück an und nickt:
    – Das ist ein Kimono, bestätigt er, aber ich vermute, dass es ein Männer-Kimono ist.
    Die junge Frau schaut sich noch einmal prüfend das Kleidungsstück an, dann aber sagt sie:

    – Ich verstehe davon zu wenig. Ich hänge das gute Stück jetzt einfach einmal in ihr Zimmer, Frau Danner kann sich ja noch einmal melden, wenn es nicht das richtige ist.

    Sie gehen nun zusammen zu Jules Zimmer, die junge Frau schließt auf und geht voraus. Sie nimmt einen Kleiderbügel aus einem Schrank und hängt den Kimono vor der Schrankwand gut sichtbar auf.

    Er schaut ihr zu, während er den Teller weiter in der Rechten hält.
    – Suchen Sie sich in Ruhe den besten Platz für Ihr Geschenk aus, sagt die junge Frau, und dann ziehen Sie einfach die Tür zu. Ich habe hier heute sowieso nichts mehr zu tun.
    – Sie sind wirklich sehr hilfsbereit, antwortet er, wie

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