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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Schlagzeug hat sie schon gedacht. Die Musik von Miles Davis oder von John Coltrane wird ihm gefallen, sie vermutet, dass er diese Musik immer dabeihat und dass sie zu seinen Lebensmusiken gehört. Sie dagegen liebt Klaviermusik, Klaviermusik ohne jede Begleitung, Klaviermusik von der einsamen, improvisierenden Art. Chopin, Liszt, Satie, Skrjabin, Rachmaninow – das sind ihre eigenen Lebensmusiken, Jazz mag sie auch sehr, aber diese Stücke reichen eben doch nie so ganz an das eher klassische Repertoire heran.

    Sicher ist er auch ein häufiger Kinogänger, ja, auch das glaubt sie fest. Er geht nicht am späten Abend, sondern am Mittag oder am frühen Nachmittag ins Kino, er mag es, sich in die leeren Reihen zu setzen und während des
Films etwas zu trinken. Er macht es sich bequem, er lehnt sich mit dem Kopf nach hinten, er lässt den Film wie ein schönes Schneegestöber oder einen kleinen Sturm, in denen man Gestalten und Räume erst entziffern muss, vor sich aufziehen. Hinterher schlägt er den Kragen seiner Jacke hoch, steckt seine Hände in die beiden Hosentaschen und verlässt das Kino nachdenklich und langsam. Danach geht er spazieren, denn er braucht einige Zeit, um den Film in seinem Kopf loszuwerden, nichts zieht ihn an, nichts schmeckt ihm – so verbringt er einige stille Stunden, bis er wieder ins Leben zurückfindet.

    Und seine Arbeit? Sie könnte sich von Katharina einige seiner Bücher ausleihen, doch das wird sie auf keinen Fall tun. Sie möchte ihn im Umgang kennenlernen und nicht durch seine Bücher beeinflusst werden, sie möchte sogar nicht einmal flüchtig wissen, welche Themen in seinen Büchern eine Rolle spielen. Seltsam, das kann sie sich nur schwer vorstellen: die Themen, die er in seinen Büchern behandelt. Themen?! Welche Themen?! Es kommt ihr so vor, als wäre »Thema« in seinem Fall ein zu plakatives Wort. Ein »Thema« – das ist Breitwand, Epos, Drama, Geschichte. Sie vermutet jedoch, dass er sich für kleinere Formate interessiert. Die Skizze, die kurze Erzählung, einige Szenen, luftig, pointiert geschrieben, aber ohne peinlichen Witz. Und das alles sehr leise und wie hingetuscht.

    Sie trinkt ihre Tasse leer und vertieft sich wieder in ihr Buch. Auch das Gehen des japanischen Wander-Dichters ist ein Altersgehen in dem Sinn, wie Katharina es versteht. Dieses Begrüßen der Dinge am Wegrand, diese
enge Verbundenheit mit ihrem Dasein, diese Sorge um ihren Bestand – das alles findet sich in beinahe jeder Zeile seines Tagebuchs.
    Sie liest, und sie schaut ab und zu hinab zu dem vertrauten Paar, das sich langsam in die Ferne bewegt. Jetzt steht es auf einer Brücke und blickt auf das Wasser eines unterhalb der Brücke dahinsprudelnden Bachs. Wegen seiner raschen, munteren Bewegung blitzen die Sonnenstrahlen auf seiner Oberfläche bis hier hinauf, die beiden Spaziergänger lehnen sich nun an die Brüstung des dunklen Holzgeländers und beobachten dieses Geschehen.
    Erst nach einer Weile lösen sie sich von diesem Anblick und spazieren weiter. Schließlich verschwinden sie nach einer Biegung des Weges, der sich zwischen zwei großen Felsblöcken rechts und links hindurchwindet, in der Ferne.

    Sie schlägt das Buch zu und trägt ihre Tasse Tee zu dem Tisch in der Mitte der Bibliothek. Dann verlässt sie den Raum und macht sich auf den Weg zurück zu ihrem Zimmer.

23
    KATHARINA GEHT ein paar Schritte voraus, als sie den kleinen Landgasthof erreichen. Sie betritt ihn aber nicht, sondern umrundet ihn an seiner rechten Seite, so dass sie gleich auf den schattigen Biergarten stoßen.

    Die Stühle und Tische stehen unter zwei mächtigen Kastanien, und an den Rändern des langen Rechtecks halten mehrere weiße Sonnenschirme das zur späten Mittagsstunde gleißende Sonnenlicht ab. Anscheinend haben die meisten Gäste schon viel früher zu Mittag gegessen und sind bereits wieder verschwunden, denn die Kellnerinnen und Kellner sind gerade dabei, Geschirr und Gläser von den verlassenen Tischen zu tragen.

    Sie setzen sich in die Mitte des Biergartens direkt unter eine Kastanie, und als ein Kellner erscheint, bestellen sie fürs Erste schon einmal zwei große Helle gegen den Durst.
    – In den letzten Jahren habe ich nur mit Dir zusammen Bier getrunken, niemals aber allein und mit niemand anderem sonst, ist das nicht seltsam? sagt er.
    – Ich trinke in München nicht gerne Wein, antwortet sie, er schmeckt mir dort einfach nicht. Hier ist das anders, hier trinke ich abends sehr häufig Wein,

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