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Liebesnöter

Liebesnöter

Titel: Liebesnöter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaby Hauptmann
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weißen Tischtüchern, an der Wand erstreckte sich durch den ganzen Raum eine Bar. Alle Plätze waren besetzt, und an der Bar drängten sich die Gäste. Sie standen in mehreren Reihen hintereinander und lauschten einer Musikerin, die leicht erhöht mitten im Raum saß und mit glockenheller Stimme ein Lied sang, das Ella seltsam berührte. Dazu hatte sie ein Instrument zwischen den gekreuzten Beinen, das Ella an die große Messingbettflasche ihrer Großmutter erinnerte. In ihren Ohren klang das absolut seltsam, solche Klänge hatte sie noch nie gehört.
    »Das ist Margareta mit ihrem Hang «, flüsterte ihr Siri ins Ohr.
    »Bier oder Wein?«, wollte Liam wissen.
    » Ich gebe das aus«, erklärte Ella.
    »Bier oder Wein?«, wiederholte Liam.
    »Rotwein. Trocken, bitte.«
    »Schau.« Siri wies zu einem großen, runden Tisch, an dem ein bunter Haufen von Leuten saß. »Da hast du sie alle auf einmal, Maler, Musiker, Theaterleute, Typen vom Fernsehen, einige, die was sind, und andere, die glauben, sie wären was.«
    »Wie überall.« Ella versuchte, genauer hinzusehen. Aber sie saßen so gedrängt, dass es schwierig war, einzelne Gesichter zu erkennen. Wer war wohl vom Fernsehen? Wer war Maler? Es gab keine Anhaltspunkte, keine Baskenmütze mit langem Pferdeschwanz und keinen schwarz gekleideten Beau. In der Pause würde sie einfach mal hingehen und nach Inger Larsson fragen. Sie hatte sogar extra den Ausstellungskatalog in ihre Tasche gesteckt. Liam hielt ihr ein Wasserglas mit Wein hin. »Wenn wir zum Essen an einem Tisch sitzen, bekommen wir richtige Weingläser«, sagte er lächelnd, als er Ellas skeptischen Blick bemerkte. »An der Bar wird nur so ausgeschenkt.«
    »Kein Problem«, beeilte sich Ella zu sagen.
    »Na, dann, skol!« Siri hatte ebenfalls einen Wein, und sie stießen mit Liam an, der eine Flasche Bier in der Hand hielt.
    Ella trank einen zaghaften Schluck. Der Wein war in Ordnung, vollmundig und rund. Der erste Abend, dachte sie. Eigentlich müsste sie vor Müdigkeit umfallen. Aber ins Bett konnte sie nur, wenn sie einen Schritt weitergekommen war.
    Was wäre eigentlich, wenn er mir hier auf einmal gegenüberstehen würde? Der Gedanke kam ihr so plötzlich, dass ihr fast das Glas aus der Hand gefallen wäre. Und es war so realistisch, warum nicht? Wenn er wirklich in Stockholm lebte, war es doch durchaus möglich. Aber er war ja nicht nur Moritz, ihr ehemaliger Schulkamerad, er war der Mörder ihrer Schwester. Er würde ein Wiedersehen verhindern wollen. Vielleicht hatte er sie ja in diesem Moment schon entdeckt und beobachtete sie aus der Ferne?
    Quatsch, beruhigte sie sich. Warum sollte das ausgerechnet hier passieren? Stockholm war groß, Schweden riesig, und ob er wirklich in Schweden war, wusste nur er selbst – und vielleicht Inger Larsson. In diesem Moment hörte die Sängerin auf und erhob sich. Applaus brandete auf. Sie strich ihre langen Rastalocken nach hinten, die über der Stirn von einem breiten roten Tuch zurückgehalten wurden, und verneigte sich leicht in alle Richtungen. Ella schaute zu den Künstlern hinüber. Einer war aufgestanden, um die junge Frau an den Tisch zu holen. Das passte nun gar nicht, dachte Ella, denn so würde sie da jetzt mitten hineinplatzen, und keiner hätte ein Ohr für Inger Larsson. Sie beschloss, erst einmal abzuwarten. Inzwischen war die Musikerin an dem Tisch angekommen und stand in ihrer gelben Pluderhose und dem weiten, groben Leinenhemd etwas verloren neben dem Mann, der ihr jetzt einen Stuhl heranzog. Aber unversehens hob sie den Kopf und sah in Ellas Richtung.
    Und plötzlich hatte Ella einen Flash. Dieses Gesicht hatte sie schon einmal gesehen. Dieses schmale Gesicht mit den großen Kinderaugen, die verwundert und verletzlich in die Welt schauten. Und dieses rote Stirnband, das die honiggelben, verfilzten Zöpfe kaum bändigen konnte, eine erdrückende Haarpracht, die das schmale Gesicht noch schmaler machte. Ella stand wie vom Donner gerührt, dann stellte sie hastig ihr Glas ab, zog ihren Katalog heraus und blätterte ihn schnell durch. Als sie die richtige Seite gefunden hatte, drängte sie sich durch die anderen Gäste hindurch zum helleren Licht an der Bar. Es gab keinen Zweifel. Sie hatte diese Frau auf einem Portrait in der Ausstellung gesehen, es hatte neben dem Bild von Moritz gehangen. Das war unglaublich! Sie hatte eine Spur. Und was für eine! Mit dem aufgeschlagenen Katalog zwängte sie sich wieder zurück durch die Menge und ging direkt zu

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