Liebesnöter
Ella wehrte ab und war froh, als er draußen war.
Du lieber Himmel, dachte sie. Wer soll das denn alles essen? Sie betrachtete die Silberdeckel auf den beiden großen Tellern und die Champagnerflöten, die daneben standen.
Es klopfte erneut.
Ella fuhr sich mit beiden Händen durch ihr Haar. Wie sie wohl aussah? Sie hatte noch keine Minute gefunden, um mal kritisch in den Spiegel zu schauen.
»Oh, là, là«, machte Roger, als sie die Tür öffnete.
Oh, là, là? Bezog sich das jetzt auf sie?
»Die braucht Wasser.« Roger zeigte auf die Blume, die sie noch immer in der Hand hielt. »Darf ich eintreten?«
Sie trat zur Seite und bewegte sich nicht, als er ihr drei Wangenküsse gab. »Du siehst phantastisch aus, ma chérie!«
»Willst du mich verarschen?«
»Wie?« Er sah sie erstaunt an. Er hatte wirklich etwas vom jungen Charles Aznavour. Diese Falten, die er gerade so männlich in seine Stirn grub, dieser treue Dackelblick aus braunen Augen, fragend und lieb, dabei trotzdem ein bisschen frech und herausfordernd. Er war einfach umwerfend.
Ella hielt sich zurück.
»Du bist doch bestimmt verheiratet und hast fünf kleine Kinder zu Hause«, sagte sie forsch, um sich selbst zu bremsen.
»Erwähnte ich das nicht schon?«
Er war wirklich frech.
»Und was ist, wenn ich mich in dich verliebe?«
»Ich bin schon verliebt!«
»Und wenn ich dir hinterherfahre und vor deinem Haus stehe?«
»Dann lasse ich dich herein.«
Ella schaute ihn an und schüttelte den Kopf, aber nur so lange, bis er den Arm um sie gelegt und sie zärtlich geküsst hatte.
»Unsere Omelettes werden kalt. Das ist in Frankreich eine Todsünde«, sagte er und schob sie sanft zum Tisch.
»Das ist eine Premiere«, sagte sie, während er ihr den Stuhl zurechtrückte.
»Umso besser. Ein Mann ist nur ein Mann, wenn er Premieren bieten kann.«
»Das reimt sich.«
»Alle Franzosen sind Poeten, wenn sie verliebt sind.«
Er griff nach seinem Champagnerglas und stieß mit ihr an. Wenn Ben sie sehen könnte, dachte sie dabei, er würde es nicht glauben. Fast war sie versucht, ein Foto zu machen. Roger hob die beiden Silberdeckel von den Tellern, und mit dem Anblick des goldgelben Omelettes erwachte auch ihr Appetit.
»Was hast du heute vor?«, fragte er, während er Kaffee einschenkte.
»Ich muss eine bestimme Künstlerin finden, deshalb bin ich hier.«
»Ah. Hast du mit Kunst zu tun?«
»Nein, ich möchte sie nur etwas fragen. Sie hat ein Bild gemalt, das mich interessiert.«
»Wegen eines Bildes, das dich interessiert, bist du hierhergeflogen? Ist sie weltberühmt?«
»Nein, eigentlich kennt sie keiner.«
Siris Mutter fiel ihr ein. Vielleicht bekam die ja in ihrem Amt doch etwas heraus.
»Es kennt sie keiner, aber du fliegst ihretwegen hierher.«
»Ja!« Ella nickte energisch und strich ihre langen Haare nach hinten. Konnte schon sein, dass sich das etwas seltsam anhörte, aber so war es nun mal.
»Und was machst du?«
»Ich schreibe Bücher«, sagte er.
»Bücher? Wie kann man denn Bücher schreiben?«
»Indem man sich hinsetzt und sie schreibt.«
Ella starrte ihn an. Auf alles wäre sie gekommen, aber darauf nicht.
»Also Schriftsteller.«
»Drehbücher.«
»Nein!«
»Warum nein?«
»Das hört sich so abenteuerlich an.«
»Ist es auch. Es geht um einen Krimi.«
»Einen Krimi.« Sie dachte an ihre eigene Situation. Als ob sie nicht schon genug Krimi hätte. »Und was für einen Krimi?«
»Das Übliche. Leiche, Rätsel, Motiv, Mörder, Lösung.«
»Aha.«
»Und ich schaue mir hier gerade ein paar Schauplätze an.« Er lächelte und spießte eine der Crevetten mit der Gabel auf.
»Und holst dir ein paar Anregungen?« Ella schaute ihm zu, wie er die Crevette in seinen Mund schob und sie genüsslich kaute.
»Klar, davon lebe ich.« Er lächelte. »Davon lebt meine Phantasie.«
»Gehöre ich zu deiner Phantasie dazu? Bin ich eine … Hauptdarstellerin? Eine Protagonistin?«
»Nein, du bist Ella. Eine wunderschöne junge Frau, die mit meinem Drehbuch überhaupt nichts zu tun hat.«
»Schade«, entschlüpfte es Ella. Eigentlich hatte sie es nicht so gemeint, es war ihr nur so herausgerutscht, während sie etwas anderes dachte. Ich erlebe einen Krimi, dachte sie, und er erfindet einen. Das ist doch total schräg.
Sie schätzte Roger auf Anfang vierzig. Er trug ein grünes Poloshirt zur blauen Jeans, die eng saß und auf Ella sexy wirkte. Ihrem Ben hätte sie sofort erklärt, dass so enge Jeans schlecht für die Hoden seien,
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