Liebesnöter
nicht aufhalten.«
»Nein, das ist schon in Ordnung. Und lieb, dass du angerufen hast.«
Sie war schon an der Zimmertür und steckte das Smartphone ein. Warum nur war das Leben so kompliziert? Konnte sie nicht einfach zwei Männer lieben? Was heißt denn da, zwei Männer lieben, ermahnte sie sich, während sie an dem Servicewagen des Zimmermädchens vorbeiging. Ist doch gar nicht gesagt, dass Roger überhaupt mehr wollte als nur ein bisschen Spaß.
Und sie? Wollte sie mehr?
Und wenn ja, was wollte sie mehr?
Dachte sie nach vierundzwanzig Stunden etwa schon an eine Beziehung? Oder was sollten diese Gedanken?
Sie wusste es auch nicht.
Der Lift kam schneller als gedacht, und unten winkte ihr Siri im Vorübergehen einen herzlichen Gruß zu.
»Till lycka!!«
Wird wohl viel Glück heißen, dachte Ella und rief: »Tack« zurück. Siri quittierte es mit einem strahlenden Lächeln.
Ob Siri je fremdgehen würde?, fragte sich Ella, während sie ins Freie trat. Aber vielleicht hatte sie mit Liam ja auch das große Los gezogen, und es blieben keine Wünsche offen, und alle großen und kleinen Erwartungen wurden erfüllt?
Es war wirklich warm. Unglaublich, dieses schwedische Wetter ließ sich überhaupt nicht einschätzen. Ella zog den Pullover aus und band ihn sich um die Taille. Sicherlich würde sie ihn in spätestens zwanzig Minuten wieder brauchen, es lohnte sich also nicht, ihn in die Tasche zu packen.
Aber jetzt musste sie sich beeilen.
Sie kam gerade am Stortorget an, als Margareta zu singen begann. Sie saß vor dem großen Brunnen, der den alten Marktplatz zierte, und entlockte ihrem Instrument wieder die seltsam weichen, fast klagenden Töne, die Ella schon gestern beeindruckt hatten. Konnte sie sie jetzt ansprechen? Vielleicht kurz auf sich aufmerksam machen, damit Margareta nicht wieder plötzlich verschwand.
Margareta hatte eine Schuhschachtel mit CD s vor sich stehen und eine zweite mit einem handgemalten Schild: »100 Kronor.« Gut, okay, dache Ella, schöne Erinnerung. Sie trat vor Margareta hin, nickte ihr zu, bekam aber keine Reaktion. Die Sängerin tauchte wohl mit ihrem Instrument in andere Sphären ab. Ella schaute die CD s durch. Es gab zwei verschiedene, offensichtlich selbst gebrannte, mit Margaretas Gesicht auf dem Cover. Ella nahm beide, legte zweihundert Kronen in die Schachtel und zog sich in den Kreis zurück, der sich langsam um Margareta bildete.
Sie sah sich um. Hinter ihr war in einem der vielen Straßencafés ein kleiner Tisch frei. Da sie sich auf längeres Warten einrichtete, war das jedenfalls gemütlicher.
Ella hatte nach ihrem Cappuccino gerade ein Wasser bestellt, als zwei junge Männer mit Gitarrenkoffer durch die Menschenmenge auf Margareta zugingen. Jetzt sah Margareta auf. Ah, jetzt kommt wohl die Ablösung, dachte Ella, schließlich will hier jeder mal spielen und Geld verdienen. Bloß nichts verpassen. Sie wartete ungeduldig auf ihr Wasser und hielt schon den passenden Betrag bereit, aber die Begrüßung der Musiker dauerte so lang, dass die Zuschauer längst gegangen waren, bis Margareta ihre Sachen endlich eingesammelt hatte und davonging.
Ella beeilte sich, an ihre Seite zu kommen.
»Hi, sorry, I’m Ella«, stellte sie sich vor.
»Ah?«, sie schaute sie aus wasserblauen Augen an. Was für ein Gesicht, dachte Ella. Fast durchsichtig. So fein und ebenmäßig. Es kam zwischen den vielen Haaren gar nicht richtig zur Geltung.
»Ja, eine Freundin hat Sie gestern wegen mir angesprochen.«
»Ach ja. Sie wollten eine CD kaufen.« Margaretas Mimik veränderte sich kaum. »Haben Sie sich jetzt eine gekauft?«
Ella hielt schnell ihre beiden CD s in die Höhe und zeigte sie ihr. Auch das entlockte der jungen Frau kein Lächeln. War sie zwanzig? Oder fünfundzwanzig? Ella konnte sie schlecht schätzen. Sie wäre auch für siebzehn durchgegangen.
»Ich habe Sie auf einem Portrait gesehen.«
»Ach ja?« Jetzt kam doch etwas Leben in ihr Gesicht.
»Ja, in einer Ausstellung in Frankfurt.«
»In Frankfurt?« Margaretas Blick wurde aufmerksamer. »In Deutschland?«
»Ja, eine Galerie stellt Bilder von Inger Larsson aus. Da ist Ihres dabei.«
»Ich habe es noch nicht gesehen.«
Ella sah sie erstaunt an. »Sie haben das Bild nicht gesehen?«
»Nein.«
»Aber Sie haben doch Modell gesessen …«
»Nein.«
Wie ging das denn?
»Wie geht das denn? Inger Larsson malt sie, und Sie haben das Bild nicht gesehen?«
»Ich kenne auch keine Inger Larsson.«
»Die Malerin, die
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