Liebesvergessen (German Edition)
Chancen, dass nichts zurückbleibt.“
Der Glatzkopf wies auf meinen Fuß: „Da reicht ein Cast, dann kann die arme Frau wenigstens aufstehen“, wandte er sich an Agnes. Er erhob den Zeigefinger: „Aber nur auf dem Hacken laufen und mit einer Krücke. Sie dürfen noch nicht voll belasten, sonst sehen wir uns im OP wieder“, drohte er mir. Na das wollte ich auf gar keinen Fall. Keine OP mehr. Und allein pipi machen, das war mein sehnlichster Wunsch.
Innerlich jubilierte ich. Ich konnte aufstehen, wenn ich wollte. Das hieß, ich konnte selbständig das WC aufsuchen. Das war ein enormer Fortschritt. Oder wenn ich telefonieren wollte, musste ich das nicht in Gegenwart der Hexe tun. Ich fühlte mich auf einen Schlag wie befreit. Mein Hinterkopf mahnte: „Freu dich nicht zu früh, du weißt immer noch nicht, wer du bist. Also schön langsam junge Frau.“
Doktor Johannson machte sich nun an meiner Nase zu schaffen. Da mir mein Gesicht und vor allem die Nase noch extrem zusetzten, bekam ich es nun mit der Angst zu tun. Doktor Johannson fing an, mit einer übergroßen Pinzette die Tampons aus meinen Nasenlöchern zu knibbeln, was nicht so schmerzhaft war, wie ich vorher angenommen hatte. Endlich bekam ich wieder Luft und der Druck in meinen Schläfen ließ auch langsam nach. Agnes schneiderte mir noch meinen Cast zurecht, legte ihn mir an und gab mir zwei Duschhauben, eine für den Fuß und eine für den Arm. Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, machte ich mich bei, mir frische Unterwäsche und eines meiner eigenen Nachthemden zu schultern. Ich griff nach der Krücke, humpelte umständlich in Zeitlupe ins Badezimmer und schloss erleichtert die Tür hinter mir. Ich band mir das am Hintern offene Nachthemd vom Körper, zog meinen Slip aus und stellte mich nackt vor den Spiegel. Ich sah müde aus und total demoliert. Mein Oberkörper wies mehrere blaue Flecken auf, meine Rippen schmerzten bei jedem Schritt und bei jeder Bewegung. Ich betrachtete mein Spiegelbild eingehend. Meine Haare hingen mir in fettigen Strähnen auf die Schultern und mein Gesicht machte den Eindruck, als hätte es jemand als Sandsack zweckentfremdet. Hals abwärts war ich zwar übersät von Hämatomen, allerdings hatte ich dafür, dass ich schon 39 Jahre alt war, eine Top-Figur. Ich fand meine Brüste schön und war beeindruckt von meiner schlanken Taille. Meine Oberschenkel waren straff und frei von Zellulitis. Hatte ich an diesem Körper hart arbeiten müssen oder spielten mir gute Gene in die Hände? Ich zog mir die beiden Duschhauben über und stieg unter die Dusche. Ich wusch mir umständlich die Haare, was sich als äußerst anstrengend erwies mit nur einer Hand, und seifte mich ein. Danach ließ ich mir das heiße Wasser minutenlang über die Haare und den Körper laufen bis sämtlicher Schaum weggespült war. In Zeitlupe trocknete ich mich ab und zog mir mein Nachthemd über. Frisch wie ein Neugeborenes und völlig erschöpft wie nach dreißig Stunden Non-Stopp-Bergwerk humpelte ich zurück in mein Bett. Abgerackert schaute ich müde zur Decke. Ich empfand den Tag als ereignisreich und war froh, dass jetzt Ruhe einkehrte. Oma Klein war inzwischen eingeschlafen und ich würde es ihr augenblicklich gleichtun. Morgen würde ich mich als erstes meinem Laptop widmen.
Nach Hause!
Wieder riss mich Schwester Agnes unsanft aus meinen Tom-Träumen. Meine Gedanken durchliefen dieselbe Prozedur wie am Tag zuvor. Ein erneuter Vergangenheits-Check offenbarte mir, dass ich weiterhin keine Ahnung hatte, wer ich war. Nachdem ich gefrühstückt hatte, schaltete ich meinen Laptop ein. Er fuhr träge hoch.
„Neumod‘scher Kram“, rügte das Nachbarbett. „Kindchen, meinste denn, da ist deine Vergangenheit drin?“ Oma Klein stand kopfschüttelnd auf und machte sich an ihre Morgentoilette. Ich war erleichtert, dass ich sie für einen Moment los war. Auf dem Desktop öffnete sich schleppend ein Hintergrundbild. Ein Golden Retriever lächelte hechelnd in die Kamera. Das musste Betsy sein. Ich suchte nach einem E-Mail-Tool und fand es. Es ließ sich mit einem Doppelklick öffnen, ohne nach einem Passwort zu fragen. Auch war ich erstaunt, dass sich meine E-Mails ohne weiteres laden ließen. Das hieß, ich war irgendwie mit dem Internet verbunden. Oh du feines Wunder der Technik! Eine blecherne Frauenstimme teilte mir mit, dass sich fünfzehn E-Mails in meinem Postfach befanden. Die meisten Mails kamen
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