Liebesvisitation (German Edition)
ihrem Herzen war wohl weiter als gedacht, und ein kleiner, misslungener Liebesbeweis, war wohl nicht genug. Er musste endlich den Finger aus dem Arsch kriegen, wie Christian es ausdrückte, und dafür einen süffisanten Blick von Markus kassierte.
Albert klopfte ihm auf die Schulter. Seit er mit Judith zusammen war, hatte er seine Schüchternheit so eingeschüchtert, dass sie kaum spürbar war.
„Wie läuft es mit Anna?“
„Hach, ich weiß auch nicht. Ich bin so ein Trottel. Aber ich dachte, das hätte sie mir verziehen, oder sich zumindest daran gewöhnt.
„Wie ist es mit dir und Judith?“
„Es ist das Wundervollste, was mir passieren könnte. Ich war immer auf der Suche nach dem Ass. Ich wollte keine 6, keine 7, keine 8, keine 9, keine 10, keinen Unter, keinen Ober, keinen König, sondern ein Ass…doch dann kam sie: Der Joker. Unabhängig von jedem Ranking, unabhängig von jeder Wertung. Sie kann nicht abfallen. Ein Ass kann zu einem König werden, ein Ober zu einem Unter, aber ein Joker fällt niemals ab.
Anna hatte am Abend noch mit Ralf telefoniert und deutlich gemacht, dass sie den Zungenkuss nicht wollte. Ralf gab sich überrascht: „Du wolltest den Zungenkuss nicht? Deine Zunge lag nicht gerade wie ein totes Tier in meinem Mund.“
„Ich hab nur den Ausgang gesucht.“
„Du hast mir doch diesen Zungenkuss gegeben.“
„Ich hab dir nur einen Kuss gegeben. Die Zunge hast du ins Spiel gebracht.“
„Ich dachte du willst die Zunge. Du hättest ja sonst kaum 30 Sekunden deinen Mund auf meinen gepresst.“
„Ralf, das mit dir und mir...“
„Du musst sagen was du meinst. Ich sehe keine Gesten durch das Telefon.“
„Sei nicht so zynisch.“
„Du bist zynisch.“
„Weißt du, was zynisch bedeutet?!“
„Nein.“
„Das war wenigstens ehrlich. Ich muss jetzt Schluss machen.“
„Du machst Schluss?“
„Mit dem Telefon.“
„Du willst dich mit dem Telefonkabel aufhängen?“
„Du bist ein Idiot. Außerdem habe ich ein schnurloses Telefon.“
„Ich begreife dich nicht Anna. Du spielst mir was vor. Manchmal blicke ich auf deine Innerlichkeit, und dann wieder ziehst du ‘ne Show ab. Es ist wie wenn man ein Plunderstück aus der Bäckertüte ist, und dabei immer wieder in das Papier beißt.“
„Vielleicht hilft es, wenn das Papier weg ist. Soll ich mich ausziehen?“
„Ich sag doch, durchs Telefon sehe ich deine Gesten nicht. Warum machst du es mir so schwer, Anna?“
„Ich dir? Oje. Solange du das glaubst, ist es um deine Selbsterkenntnis nicht gut bestellt.“
„Ach Anna. Ich weiß, dass ich ein Trottel bin. Aber ich liebe dich. Du bist wie eine in einer Millionen.“
„Toll. Das heißt, es gibt noch fünf weitere Tussen in dieser Stadt, mit denen du dich einlassen würdest.“
Damit legte Anna das Telefon auf.
Albert klopfte ihm wieder auf die Schulter. „Glauben versetzt Berge.“
„Aber Berge sind ziemlich nutzlose Objekte“, sinnierte Ralf.
„Warts ab“, versuchte Albert zu beschwichtigen. „Wer weiß, wo das Leben hinführt.“
„Immer in den Tod“, resignierte Ralf.
Judith war inzwischen von der Toilette zurückgekehrt. Auch sie beteiligte sich an der Diskussion. „Ich sag das nur ungern Ralf, aber du fühlst dich ungerecht behandelt. Dabei bist du derjenige, der sich am wenigsten beschweren dürfte.“
„Wird ein Geschöpf nicht bereits ungerecht behandelt, wenn es sich ungerecht behandelt fühlt?“, wollte Ralf nun wissen. „Schlussendlich geht es doch immer nur um Gefühle beim Menschen. Nichts anderes ist von Wichtigkeit, und wer sich ungerecht behandelt fühlt, fühlt sich schlecht, egal wie gut er behandelt wird.“
Judith musste schmunzeln. Das war unfreiwillig poetisch.
„Das Leben ist nicht gerecht“, fuhr Ralf fort. „Es kann ja gar nicht gerecht sein. Es ist unmöglich, dass es gerecht ist.“
„Jetzt hast du es drei Mal gesagt“, stellte Albert fest. „Im Regelfall bedeutet das, dass es eine Frage ist. Wenn man etwas einmal sagt, ist es eine Aussage. Wenn man es zweimal sagt, ist ein kleines ‚oder ?‘ dahinter. Wenn man es dreimal sagt, ist es eine Frage.“
„Du darfst es Anna und dir nicht so schwer machen“, fuhr Judith fort.
„Soll ich mich erleichtern?“, fragte Ralf zynisch.
„Irgendwie schon. Es geht um Erhabenheit. Man muss sich erheben. Der Weg nach oben scheint beschwerlich, aber wer aufsteigt, wird leichter. Die Leute tun sich so schwer damit. Sie haben wohl Angst, dass - wenn sie leichter
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