Liebhaberstück Xenia (German Edition)
zusammenraffte und es mir damit auf dem Boden gemütlich zu machen versuchte. Doch auch dahin verfolgte mich der Doktor.
Hartmann rieb seinen Ein-Tages-Bart in mein Haar, dass die Blätter darin nur so raschelten. Ich schickte mich an, mich noch weiter von ihm wegzuschieben, doch das ging nicht. Plötzlich war ich eingekeilt zwischen ihm und dem Sofa.
Kurz erwog ich, aufzustehen und zu gehen, doch dann w ären die Hartmänner sicher auch gegangen und ich hätte Freya den Abend verdorben.
Nur noch eine kleine Weile.
Thorsten Hartmann drückte mir mein Weinglas in die Hand und stieß mit mir an. Mick und Freya gesellten sich auch zu uns auf den Boden, schoben den Couchtisch weg, legten weitere Kissen und Decken aus. Während dieser Umräumarbeiten stahl sich Hartmanns Arm um mich, den ich sofort abzuschütteln versuchte.
„Sie werden doch nicht wollen, dass ich den Rotwein auf dies em hellen Teppich verschütte!“ Demonstrativ hielt er sein Glas hoch, dessen Inhalt durch meine Abwehrbewegungen beträchtlich schwankte.
„ Bitte NICHT!“, betonte Freya.
„ Wir haben ein gutes Textilbleichmittel in unserem Geschäft“, erwiderte ich.
„Nur keine Sorge, Upline“, ertönte Micks unbekümmerte Stimme. „Solange ich hier bin, tut Tho rsten dir nichts. Und wenn er frech wird, klatsche ihm einfach eins auf die Nase! Das macht ihn wieder friedlich.“
„ Du wirst gleich eins auf die Nase kriegen, Bruder!“, drohte Thorsten Hartmann, allerdings lächelnd.
Schmunzelnd wandte sich Mick an Freya mit einer geflüsterten Bemerkung, die ich akustisch nicht verstehen konnte.
Freya kicherte.
Wie konnte ich mich nur aus der Affäre ziehen, ohne für sie den Zauber des Abends zu zerstören?
Die Kerzen waren teilweise schon ausgegangen. Die zwei verbliebenen spendeten ein ge ringes und viel zu behagliches Licht. Die Musik war längst verstummt, doch Freya kümmerte sich nicht weiter darum. Ihre Aufmerksamkeit erschöpfte sich nun völlig darin, über Micks lustige Bemerkungen zu lachen, während sein Kopf schon zutraulich auf ihrem Schoß lag. Seine lange Gestalt beanspruchte den Raum vor dem Sofa quer, was sein Bruder zum Anlass nahm, mir noch näher zu kommen.
Überrascht stellte ich fest, dass mich Thorsten Har tmanns Nähe zusehends mehr beruhigte als aufregte. Das Kerzenlicht, der Rotwein, Freyas und Micks Lachen, der Vanilleduft aus der Duftlampe, der gleichermaßen fremde wie seltsam vertraute Körperkontakt mit diesem Mann lullten mich ein.
Was konnte es schon schaden, wenn ich mich ein wenig entspannte?
Er würde schon nicht gleich denken, dass er mich als Ei nweg-Trophäe einholen konnte, nur weil ich mich jetzt gegen ihn lehnte, oder? Gerade ein Mann mit Erfahrung wie er würde das schon nicht überinterpretieren. Es war ja auch nichts dabei, wenn ich seinen Arm um mich tolerierte und die Finger seiner Hand, die noch immer mit den Blättern in meinem Haar spielten.
O der?
Es war so schön, so unerwartet herrlich, meinen Kopf auf seine Brust zu legen, mich von seinen Atembewegungen wiegen zu lassen, von seinem eisenharten Arm gehalten zu werden, seinen Duft nach Duschgel und Selbstsicherheit einzuatmen – war das nicht sogar das Duschgel aus unserem Geschäft? Ich genoss all das wie ein heimliches Laster, ein gestohlenes Vergnügen.
Einen Augenblick nur, dann würde Thorsten Hartmann s owieso wieder zu seinem Weinglas auf dem Couchtisch greifen und mich loslassen. Einen Augenblick nur, dann würden die Hartmänner und ich uns sowieso von Freya verabschieden. Einen Augenblick nur, nach so vielen öden Ehejahren.
Einen Auge nblick nur…
Ich erwachte mit dem Gefühl der Orientierungslosigkeit.
Das war für mich nichts Ungewöhnliches, bei all den Re isen, die ich in letzter Zeit unternahm. Wenn mir das passierte, dann ordnete ich immer ruhig meine Gedanken, noch bevor ich die Augen öffnete, und mir kam dann immer sofort zu Bewusstsein: Ach ja, ich bin beim Führungskräfteseminar und liege gerade im hinteren Zimmerchen in der Pension Lochleitner. Oder: Ach ja, ich bin in meiner neuen, halb eingerichteten Wohnung in Berlin und muss aufpassen, dass ich beim Aufstehen nicht über den Karton mit den Handtüchern stolpere. Oder: Ach ja, ich bin im Hotel beim Wochenendseminar in Zürich.
Nur diesmal kam mir nichts in den Sinn, wo in aller Welt ich sein könnte. Schlimmer noch, ich lag auf etwas Großem, das sich bewegte, etwas Warmem, Organischem…
Mit einem Schlag war ich hellwach und fuhr
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