Liebling der Götter
Klebstoffklecks auf einem Regalbrett abzukratzen versuchte, als es an der Tür läutete. Sie murmelte etwas vor sich hin, kletterte vom Stuhl hinunter und sah an der Haustür nach.
»Hallo, Phyllis.«
Mrs. Derry musterte Jupiter mit diesem ganz bestimmten Blick, den nur weibliche Sterbliche beherrschen. Er ist ein Meisterstück nonverbaler Kommunikation und besagt (unter anderem): Du bist in meinem Haus nicht willkommen, schon aufgrund dessen, was sich in der Vergangenheit zwischen uns beiden abgespielt hat, und weil du nicht einmal Blumen oder einen Brief geschickt hast, vor allem aber ist der Küchenfußboden seit einer Woche nicht mehr gewischt worden. Es spricht für Jupiter, daß er diesem Blick standhalten konnte, ohne umzufallen; aber ›die Götter‹, so ermahnt uns Homer, ›sind bei weitem stärker als die brotessenden Sterblichen‹.
»Es geht um Jason«, klärte Jupiter Mrs. Derry auf. »Darf ich reinkommen?«
Mrs. Derry zögerte selbst jetzt noch. Wegen ihres Göttergatten war ihr Eheleben zu einer Mischung aus einer Feydeauschen Farce und Wagners ›Götterdämmerung‹ geworden; zudem mußte sie noch den morgendlichen Abwasch erledigen. Doch schließlich nickte sie, und Jupiter schlich sich an ihr vorbei ins Haus. Während er durch den Flur ging, sprossen überall dort, wo seine göttlichen Füße im tiefen Teppich Abdrücke hinterlassen hatten, Ansammlungen von unglaublich süßlich riechenden Blumen hervor. Das ist eine ganz normale Sichtbarmachung göttlicher Anwesenheit, die Mrs. Derrys Aufmerksamkeit natürlich nicht entgehen konnte.
»Um Himmels willen!« seufzte sie. »Warte hier.«
Mrs. Derry eilte davon und kehrte kurz darauf mit einem Stapel alter Zeitungen zurück, die sie zu einer Art Fußweg auslegte, der vom Flur ins Wohnzimmer führte. Als sie die letzte Seite auf dem Sofa ausgebreitet hatte, setzte sie sich wutschnaubend in den Sessel und verschränkte mißmutig die Arme.
»Nun, worum geht’s?«
»Igitt!« fluchte Pluto. Er war dazu gezwungen, sich mit dem Taschentuch die Hände abzutrocknen, was bei ihm stets ein flaues Gefühl im Magen auslöste. Nachdem er das nun feuchte Taschentuch eingesteckt hatte, blickte er in den Spiegel, rückte die Krawatte zurecht und machte sich erneut auf die Suche nach Jason Derry.
Diesmal waren seine Bemühungen von Erfolg gekrönt, was vermutlich daran lag, daß sich Jason mittlerweile auch auf die Suche nach ihm begeben hatte.
»Bleib stehen, wo du bist, oder du wirst die Klinge meines Schwerts zu spüren bekommen!« drohte ihm der Sohn des Jupiter. »Kapiert?«
Pluto drehte sich langsam um und baute sich in voller Größe vor Jason auf. »Würdest du bitte nicht in solch einem Ton mit mir reden! Immerhin bin ich dein Onkel. Also etwas mehr Respekt, wenn ich bitten darf.«
Jason runzelte angestrengt die Stirn. »Respekt?«
»Ja, Respekt. Und jetzt nimm das Schwert runter, bevor du damit noch irgendwelchen Schaden anrichtest.«
Ohne zu wissen, warum, gehorchte Jason.
Pluto nickte mit ernster Miene. »Schon besser so. Und jetzt nimm gefälligst die Hand aus der Tasche.«
Nichthelden liegt die Erklärung für dieses Verhalten natürlich auf der Hand. Da Jason während seiner heldenhaften Karriere mit einer Folge von Gegnern konfrontiert worden war, die allesamt größer, stärker, schneller, hinterhältiger und zumeist mit mehr Gliedmaßen ausgestattet gewesen waren als er, hatte Jason nie die notwendigen Techniken entwickelt, um mit kleineren und schwächeren Leuten klarzukommen, die womöglich auch noch sehr viel bessere Manieren hatten als er. Zwar hatte er Drachen getötet, aber noch nie am Rentenschalter anstehende Pensionäre überfallen.
»Du bist Pluto, nicht wahr?«
»Sicher«, antwortete der Gott steif. »Und du bist wahrscheinlich der Junge von den Derrys.«
»Ja.«
Pluto musterte ihn geringschätzig, und Jason wurde plötzlich schmerzlich bewußt, daß seine Fingernägel womöglich nicht ganz so sauber waren, wie sie es sein sollten.
»In dem Fall muß ich darauf bestehen, daß du mir den Hund zurückgibst und endlich damit aufhörst, anderen auf die Nerven zu gehen.«
Jason verlagerte schuldbewußt das Gewicht. »Bin ich das denn?« murmelte er verlegen.
»Allerdings. Einfach abzuhauen, Dissidenten zu unterstützen und Gäste zu vergraulen, gehört sich ja wohl nicht. Gar nicht davon zu reden, daß du dich gegenüber einem Gott, dem du noch nie zuvor in deinem Leben begegnet bist, äußerst flegelhaft verhalten
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