Liebling der Götter

dem vorhandenen Bestand heraus und testete deren Größe. Mehr oder weniger paßten sie, ähnlich wie eine 9 / 16 -Inch-Mutter auf ein 15-mm-Gewinde paßt, wenn man mit einem Vorschlaghammer nachhilft. Äskulap fügte die Ersatzknochen schnell und einigermaßen genau ein und forderte Pluto auf, sich zu erheben.
    »Aua!« stöhnte Pluto mit schmerzverzerrtem Gesicht auf.
    Äskulap half ihm auf die Beine, riet ihm, in nächster Zeit ein paar Bewegungsübungen zu machen, und wies darauf hin, daß er die nächsten achtundvierzig Stunden noch leichte Beschwerden haben könnte. Dann scheuchte er ihn hinaus und legte eine etwa halbstündige Pause ein, während der er eine Tasse Fleischbrühe zu sich nahm und eine gynäkologische Fachzeitschrift durchblätterte.
    Vor dem Behandlungszimmer tauschten Mars und Pluto Erfahrungen aus.
    »Es sieht nicht gut aus, wie?« meinte Mars.
    »Ziemlich mies sogar«, stimmte Pluto ihm zu. »Mich interessiert bloß, wie dieser verflixte Bengel das hingekriegt hat.«
    »Also, was mich betrifft, da hat er einfach mit der linken Faust ungefähr so ausgeholt und mich dann …«
    »Nein, nein«, unterbrach ihn Pluto, wobei er noch immer vor Schmerzen leicht stöhnte, »das wollte ich damit nicht sagen. Ich will wissen, woher er die Kraft hat, sich mit den Göttern zu messen. Normalerweise können Sterbliche es nicht mit Göttern aufnehmen – das ist genauso unmöglich, wie mit dem Wind zu ringen. Wir sind für sie in einer anderen Dimension – es sei denn, sie haben jemanden, der ihnen hilft.«
    »Offenbar ist es diesem Jason nicht schwergefallen, so jemanden zu finden«, stellte Mars verbittert fest. »Ich habe genug Narben am Körper, um das zu beweisen.«
    »Du hast völlig recht. In der Vergangenheit hat sich unsereins doch regelrecht darum gerissen, sich irgendeinen Lieblingshelden auszugucken, um ihm im Kampf gegen den Rest von uns beizustehen. Doch stellt sich das mittlerweile ganz anders dar. Wir sind alle vereint, und niemand hat etwas davon, wenn er Derry dazu befähigt, es mit uns aufzunehmen. Also entweder hat er sich diese Fähigkeit tatsächlich ohne jede fremde Hilfe selbst angeeignet – was bedeuten würde, daß er ein einflußreicherer Gott wäre als irgendwer sonst von uns –, oder jemand, der über sehr viel Macht verfügt, steht ihm zur Seite. Und die einzige Person, die soviel Macht besitzt, ist …«
    »Ganz genau!« unterbrach ihn Mars aufgeregt. »So was bringt nur Jupiter fertig« – er blickte sich ängstlich um –, »aber so verrückt ist selbst er nicht. Er macht sich wegen dieser ganzen Geschichte mehr Sorgen als wir alle zusammen. Das kann wiederum nur heißen, daß es der Bengel irgendwie geschafft haben muß, sich durchzuschlagen und Kontakt mit …«
    »Ja, es sieht wirklich nicht besonders gut für uns aus.«
    »Das kann man wohl sagen«, sagte eine dritte Stimme. »Und da wir gerade bei dem Thema sind, ihr beide haltet mich also für verrückt, ja?«
    Die beiden Götter blickten sich um und stellten zu ihrem Entsetzen fest, daß Jupiter hinter ihnen stand. Er hatte sich dort schon eine ganze Weile aufgehalten, aber wie er es schaffen konnte, von keinem der beiden gesehen zu werden, das gehört jetzt nicht zur Sache. Wenn man es nämlich mit einem allgegenwärtigen höheren Wesen zu tun hat, ist es nichts als Zeitverschwendung, hinter dem Sofa nachzusehen oder sämtliche Wasserhähne aufzudrehen.
    »Jedenfalls habe ich die ganze Angelegenheit wie gewöhnlich auch ohne Mithilfe von euch Clowns erfolgreich zu Ende geführt«, fuhr Jupiter in rüdem Ton fort. »Alle eure Probleme sind vorbei; ihr könnt jetzt wieder den lieben Gott einen frommen Mann sein lassen und ansonsten dekorativ aussehen. Zieh mal deinen Kragen grade, Mars. Du siehst aus, als wärst du gerade aus dem Gefängnis gekommen.«
    Dann verschwand Jupiter.
    »Ich glaube, wir beide sollten uns jetzt erst mal einen genehmigen«, meinte Mars.
    Pluto nickte. »Oder auch zwei«, schlug er vor.
    »Recht hast du.«
    Nachdem sie diesen äußerst vernünftigen Entschluß gefaßt hatten, verließen sie das Krankenrevier. Als sie die Straße zur Bar überquerten, näherte sich ihnen ein VW-Käfer, Baujahr 1960 (das Auto war zu einem von vier geflügelten Drachen gezogenen Streitwagen umgebaut worden und wurde gerade von Phöbus Apollo probegefahren) und überrollte sie.
     
    Durch ein Geräusch, das fast genauso klang, als würde ein riesiger Vogel mit dem Schnabel gegen das Fenster klopfen, wurde Jason