Liebling, Ich Kann Auch Anders
entschlossen.«
»Du kannst meine Tagebücher einsehen und die Korrespondenz mit Magnus. Ist ja alles im Computer.«
»Im Ernst? Das wäre fantastisch! – Ich habe nämlich während der letzten Monate ziemlich akribisch Tagebuch geführt, sodass ich die Abläufe perfekt wiedergeben kann.«
»Sehr gut! Ich denke, es ist besser, wenn du diese Geschichte bearbeitest. Mir fehlt vermutlich die kritische Distanz.«
Ich umarmte sie stürmisch. »Du bist ein Schatz, und ich danke dir für dein Vertrauen!«
Keine drei Stunden später begann ich mit dem Sichten des Materials. Es gab massenhaft Stoff, und meine sporadischen Leseproben machten mir Mut und Lust auf mehr. Aber dann musste ich ins Bett, um wenigstens ein paar Stunden zu schlafen. Schließlich hatte Eva für elf Uhr wieder eine Radtour anberaumt. Zum Baden, Picknicken und vor allem zur Besichtigung des Domizils der Familie Weizenegger.
Der Anblick verschlug mir dann tatsächlich die Sprache. Das Anwesen lag etwa zehn Kilometer von Konstanz entfernt in der weitläufigen Umgebung einiger anderer Villen in großen Gärten direkt am See. Eine private Sackgasse, die nur Anliegern offen stand, führte über die Bahnlinie und durch ein kleines Wäldchen dorthin.
Das Durchfahrtsverbot ignorierten wir gelassen. Wir waren als zerstreute Touristinnen unterwegs. Unsere Ausweise könnten das im Notfall belegen.
Weizeneggers Grundstück war von einer mannshohen Steinmauer umgeben. Aber durch das geschmiedete Gartentor konnten wir hindurchblicken. Die Villa thronte in einem parkähnlichen Garten mit uraltem Baumbestand. Pförtnerhäuschen, Bootshaus, und Ökonomiegebäude, die zu Garagen umfunktioniert worden waren, ergänzten das herrschaftliche Ensemble. Das Ganze wirkte jedoch nicht aufdringlich gepflegt, sondern eher auf nonchalante Weise unterhalten und genutzt.
»Der ideale Rahmen für einen Psychothriller«, sagte ich, ohne mir meiner prophetischen Äußerung bewusst zu sein.
Wir stiegen von den Rädern und schoben sie bis zum Ufer vor. Eva lehnte ihres an die Gartenmauer, nahm den Drahtkorb vom Gepäckträger, zog die Schuhe aus und watete durchs Wasser um die Mauer herum.
»Na los, worauf wartest du? Wir suchen uns ein hübsches Rastplätzchen!«
»Ja, aber du kannst doch nicht einfach …«
»Oh doch ich kann sehr wohl! Wenn Herr W. sich es in meinem Schoß gemütlich machen darf, dann darf ich mich doch wohl auch in seinem Garten tummeln.«
Die Begründung leuchtete mir zwar ein, doch das Verhalten war für meine Eva, wie ich sie bisher kannte, recht untypisch. Ihre gestrenge Kinderstube verlangte eigentlich Zurückhaltung und Rücksichtnahme. Offensichtlich hatte sie dieses Korsett jetzt abgelegt. Sie bemerkte meine Nachdenklichkeit.
»Na komm schon, wir tun nichts Ungesetzliches. Das Seeufer gehört der Allgemeinheit.«
Sie überzeugte mich weniger durch ihre Worte als durch ihre entschlossene Haltung und ich folgte ihr. Kaum hatten wir das Grundstück betreten, rannte ein großer Hund auf uns zu, der wie eine gelungene Promenadenmischung auf Riesenschnauzerbasis aussah. Obwohl ich mich vor Hunden nicht fürchte, bekam ich einen gewaltigen Schrecken. Zu meiner Verblüffung war Eva jedoch auf diesen Fall bestens vorbereitet. Sie warf dem Tier ein blaues Frotteetuch hin und rief: »Da, Cerberus, riech dran!« Dabei grinste sie mich schelmisch an. »Das Schweißtuch des Herrn Magnus – und seiner Geliebten. Ist ’ne gut durchmengte Mischung von unseren Liebesdüften. Dein verschwitztes T-Shirt von gestern habe ich übrigens auch über Nacht reingewickelt. Cerberus wird uns als zu Herrchen gehörig identifizieren.«
Der Hund schnüffelte aufgeregt und schien das Argument tatsächlich zu akzeptieren. Eva streichelte ihn, lobte ihn und zog eine Wurst aus einer Tüte in ihrem Drahtkorb. Ich staunte nicht schlecht über ihre umsichtige Vorbereitung und das planvolle Vorgehen. Zum ersten Mal glaubte ich, eine Bestätigung für die kürzlich gelesene Behauptung zu finden, Liebe fördere die Intelligenz. Ich war ja immer der Ansicht, Liebe mache blind und blöd. Auf mich traf das bislang auch zuverlässig zu. Trotz Evas Kühnheit und Umsicht war mir aber in dem Moment etwas mulmig. »Bist du wirklich sicher, dass wir hier unbehelligt bleiben?«
»Ja. Ein Gutes haben die pausenlosen Plaudersalven meines Geliebten auf jeden Fall: Ich bin inzwischen nicht nur bestens über seine Kindheit und Jugend informiert, sondern ich weiß auch im Detail Bescheid
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