Liebling, vergiss die Socken nicht
Ally.«
»Allmächtiger Herrgott!« Der Ärger gewann die Überhand. »Wissen Sie nicht, wie spät es ist?«
»Ich weiß sehr genau, wie spät es ist. Sein Vater ist sehr krank.«
Matt übernahm den Hörer. »Ally? Was ist mit Dad?« fragte er aufgeregt.
»Deine Mutter hat gerade angerufen. Er ist im Bristol General Hospital. Clifton-Station. Kannst du hinfahren?«
»O Gott! Was ist passiert?« Sie konnte hören, wie sehr er mit sich kämpfte, um ruhig zu bleiben.
»Das hat sie nicht gesagt. Sie war etwas durcheinander.« Ally fühlte sich miserabel, weil sie sich nicht nach weiteren Einzelheiten erkundigt hatte. »Nur, dass sie fürchtet, er könnte nicht mehr lange leben. Möchtest du, dass ich mitkomme?«
Es trat eine kurze Pause ein. »Es ist besser, wenn ich allein fahre. Aber danke für das Angebot. Ich muss los.«
»Matt...« Ally stockte und suchte nach den richtigen Worten. Die Beziehung zwischen Matt und seinem Vater war in den letzten Jahren sehr distanziert gewesen. »Ich weiß, wie schwer es für dich ist, an ihn ranzukommen, aber er liebt dich immer noch.«
»Ja, Ally.« Matts Stimme wurde weicher. »Ich hoffe nur, dass ich nicht zu spät komme, um ihm zu sagen, dass ich dasselbe empfinde.«
Belinda, die sich im Bett aufgesetzt und ihren Morgenmantel um sich gezogen hatte, fühlte sich mit einem Mal ausgeschlossen. Sie war eifersüchtig. Wenn man die beiden so miteinander telefonieren hörte, klangen sie immer noch wie ein Paar.
Als Matt den Hörer auflegte, hätte Belinda fast gesagt: »Was ist mit der Show morgen?« Doch sie schluckte es herunter. Notfalls musste eben jemand einspringen. Statt dessen fragte sie, ob er wollte, dass sie mitkäme. Sie lernte schnell. Doch Matt schüttelte den Kopf. Es war besser, wenn er allein fuhr.
Matt stand auf und durchsuchte den Kleiderschrank nach etwas Bequemen. Es war noch dunkel, und die Luft war selbst in der Wohnung kalt und feucht. Sein Herz schlug wie wild, während er in seine Jeans stieg. Großer Gott, lass mich rechtzeitig da sein!
Fröstelnd stand Janey vor der Schlafzimmertür ihrer Mutter. Sie hatte gerade klopfen und sich bei ihr entschuldigen wollen, als das Telefon klingelte. Sie hatte das Gespräch über ihren Großvater mitbekommen.
Ihre gesamte Welt schien auseinanderzubrechen. All die Sicherheiten, an die sie so felsenfest geglaubt hatte. Ihre Eltern, die sie und sich liebten. Ihre Großeltern. Als nächstes würde Adam kommen. Und dann würde sie durch ihre Abiturprüfungen rasseln, und den Studienplatz an der Sussex-Universität konnte sie damit auch vergessen. Sie war sicher, dass es so kommen musste. Sie rannte in ihr Zimmer zurück und vergrub sich schluchzend unter der Decke.
Ally war, als hätte sie ein Geräusch gehört. Sie überlegte kurz, ob sie der Sache nachgehen sollte, ließ es aber dann, weil sie hundemüde war und sich einer weiteren Konfrontation mit Janey nicht gewachsen fühlte.
Als sie so im Dunkeln lag und lauschte, rang sie sich zu einer Entscheidung durch. Sie würde sich mit Danny solange nicht mehr treffen, bis Janey sich wieder beruhigt hatte. Sie konnte einfach nicht riskieren, dass Janey Wind davon bekam. Es waren nur noch zwei Wochen bis zu den Prüfungen. Es wäre unsäglich egoistisch, wenn sie nicht wartete, bis Janey sie hinter sich gebracht hatte. Es gab nur einen Weg. Sie musste mit ihm reden und ihm erklären, dass sie die Sache erst mal auf Eis legen sollten. Doch als sie die Augen schloss, fühlte sie sich plötzlich sehr verloren. Schließlich gehörte Danny nicht zu den Typen, die gewohnt waren, zu warten.
Und dann musste sie noch Joe besuchen. Sie hatte Matts Vater wegen seiner Liebenswürdigkeit immer sehr gemocht. Wenn jetzt etwas passierte, würde sie sich ihr Leben lang Vorwürfe machen, dass sie sich nicht mehr von ihm verabschiedet hatte.
Matt, der die nächtliche Autobahn nur mit ein paar Lastwagen teilte, war hellwach. Seine Eile, möglichst rasch zu seinem Vater zu kommen und Frieden mit ihm zu schließen, ehe es zu spät war, grenzte an Verzweiflung. Sooft hatte er von Leuten gehört, die sich morgens mit bösen Worten getrennt und dann nie mehr wiedergesehen hatten, weil einer einen Herzinfarkt erlitten hatte oder bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Oder Eltern und Kinder, wie bei ihm, die sich über die Jahre fremd geworden waren, weil sie geschwiegen hatten, wo sie besser miteinander geredet hätten, und gesagt hatten, was sie besser verschwiegen hätten.
Zum
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