Liebling, vergiss die Socken nicht
wartete, dass sein Vater es in die Arme nahm und zurücktrug. Die Tränen traten Janey in die Augen. So musste sie auch mal ausgesehen haben. War ihr eigener Vater losgerannt, um sie zu retten? Und wenn er sie wirklich liebte, wo blieb er dann jetzt, wo sie ihn brauchte?
Einen Moment lang dachte Janey daran, auch zur Bahnsteigkante zu laufen. Doch es würde niemand da sein, der sie auffing. Sie drückte den Pappbecher zusammen, schleuderte ihn in den Papierkorb und ging zur U-Bahn-Station, um zu Adams besetztem Haus zu fahren.
Ally nahm die Croissants aus der Gefriertruhe und legte sie zum Auftauen in die Mikrowelle. Sie hatte bereits ein Tablett vorbereitet. Auf einem Spitzendeckchen standen Tasse und Untertasse. Das Gedeck passte zwar nicht zusammen, aber es war Janeys Lieblingsgeschirr, italienischer Ton, in herrlichen pinken und gelben Tönen bemalt. Als Tüpfelchen auf dem I beschloss Ally, noch eine Blume aufs Tablett zu stellen. Sie ging hinaus in den Garten, um nach einer Rose zu suchen.
Einen Moment lang stand sie nur da und überblickte ungefähr ein Dutzend verschiedene Rosenarten. Dann steuerte sie einen großen Strauch ihrer Lieblingsrosen an, Madame Grégoire Staechelin genannt, die sich duftend zu ihr herüberneigten. Mit der Gartenschere schnitt sie drei der zarten, blassrosa Blumen ab und atmete ihr berauschendes Aroma ein. Obwohl es bereits nach acht war, lag dieser Teil des Gartens immer noch im Schatten. Von den einzelnen Blättern perlte der Tau.
Gerade, als sie wieder in die Küche kam, tauchte Jess auf. Die Enden ihrer Bluse hingen aus dem Rock heraus. Was das Aussehen anderer Leute anging, verfügte sie zwar über einen sicheren Geschmack, nur übertrug sich das leider ganz und gar nicht auf ihren eigenen Stil. Ganz gleich, wieviel Zeit man für ihr Äußeres aufbrachte, spätestens nach fünf Minuten sah sie wieder aus wie ein Strolch. So war es immer schon gewesen. Ally musste daran denken, wie sie vor Jahren in Frankreich Ferien gemacht hatten. All die kleinen französischen Mädchen hatten Schottenkleidchen mit weißen Kragen und schneeweiße Strümpfe getragen. Jess hob sich deutlich von ihnen ab, weil sie auf ihrer Reithose und einem von Matts Pullovern, der ihr ein paar Nummern zu groß war, bestanden hatte.
»Für wen ist das denn?« Jess zeigte auf das Tablett.
Ally blickte leicht schuldbewusst. »Das ist für Janey. Ich bin letzte Nacht zu spät heimgekommen, um noch mit ihr zu reden, und ich wollte mich dafür entschuldigen.«
»Für mich machst du das nie.« Schmollend schob Jess ihre Unterlippe vor. Es sah so komisch aus, dass Ally lachen musste.
»Du kommst morgen dran. Nun mach aber voran mit deinem Frühstück.«
»Gibt es denn noch Croissants?«
»In der Kühltruhe.«
»Aber dann sind sie doch gefroren.«
»Höchstwahrscheinlich«, räumte Ally ein. »Leg sie in die Mikrowelle. Eine Minute auf Mittel. Startknopf drücken.«
Jess blieb bei ihrer gekränkten Miene und schaltete das Fernsehgerät ein. Verwirrenderweise flimmerte Matts bekanntes Lächeln durch den Raum. Es war eine Vorschau auf seine Show mit Meredith Morgan, die am Abend laufen sollte. »Hey, Mum, sie zeigen einen Trailer für Dads Sondersendung.«
Bis Ally, die gerade mit dem Fuß die Tür aufstieß, sich umgeblickt hatte, war die Vorschau auch schon vorbei. Mit Meredith Morgan hatte er einen wirklichen Coup gelandet. In der Hoffnung, dass Janey ihr nicht mehr allzu böse war, ging sie nach oben.
Auf der einen Hand balancierte sie das Tablett, mit der anderen klopfte sie an Janeys Tür. Sie schien noch zu schlafen.
»Janey?« fragte Ally sanft und öffnete mit der freien Hand die Tür.
Im Zimmer war es dunkel, so dass es ein paar Sekunden dauerte, bis Ally merkte, dass Janey nicht im Bett lag. Leicht verwirrt stellte sie das Tablett ab und zog die Vorhänge auf. Niemand da. Vielleicht war Janey mit Sox spazierengegangen. Doch Sox hatte in ihrem Korb gesessen.
Die ersten Alarmlichter leuchteten in Allys Hinterkopf auf. Sie sah in Janeys Schrank. Er war nur halbvoll. Sie zog die Schubladen auf. Sämtliche schwarzen Sweatshirts und Leggings, ihre bevorzugte Garderobe, fehlten. Mit immer hektischer werdenden Bewegungen durchsuchte Ally den Kleiderständer. Keines ihrer Lieblingsstücke war mehr da, ihre schwarze Lederjacke fehlte und auch das Minikleid, das sie auf der Party getragen hatte. Und wie als Symbol dafür, dass sie tatsächlich verschwunden und nicht in der Schule war, hing ganz hinten
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