Liebling, vergiss die Socken nicht
an dem Ständer ihre Schuluniform.
Ally eilte an Janeys Schreibtisch, ein antikes Stück aus Kiefernholz, das Matt und sie ihr gekauft hatten, als sie mit Dreizehn verkündet hatte, sie brauche auch eine Privatsphäre und wolle ihre Hausaufgaben in Ruhe machen. Matt hatte den Schreibtisch selbst ausgesucht und in jede der vielen Schubladen ein Geschenk gelegt.
Ally wusste, dass es ein bestimmtes Fach gab, in dem Janey ihre wichtigen Dokumente aufbewahrte: ihr Scheckheft und ihre Unterlagen für die Bausparkasse. Es war leer.
Ally stand wie angewurzelt da. Sie spürte, wie die Angst in ihr aufstieg.
30. Kapitel
»O Mum, es ist alles meine Schuld«, schluchzte Jess über ihrem halbaufgetauten Croissant. »Ich hätte sie neulich nicht so fertigmachen sollen.«
Tröstend nahm Ally Jess in die Arme. Die Panik ihrer Tochter hatte den unerwarteten Nebeneffekt, dass sie vollkommen ruhig wurde. Hätte Jess wie gewöhnlich ihre ironischen Kommentare abgegeben, wäre es mit ihrer Fassung vorbeigewesen.
»Jetzt lass uns mal einen Moment ruhig nachdenken.« Sie setzte sich zu Jess. »Wo könnte sie hingegangen sein?«
»Zu Granola? Oder zu Mona und Joe?«
Ally schüttelte den Kopf. »Janey weiß, dass Granola sie wieder zurückschicken würde, Und bei Mona und Joe kann sie nicht sein, weil Joe immer noch im Krankenhaus liegt.«
»Stimmt.« Jess blickte auf. »Arme Janey. Sie war immer noch verletzt, weil du ihr nicht gesagt hast, warum du nach Bristol gefahren bist.«
Ally schloss die Augen. Sie hatte das Gefühl, dass alles ihre Schuld war. Vielleicht hatte sie einfach zu viele Menschen schützen wollen.
»Was ist mit ihren Freundinnen?« Ally zermarterte sich das Hirn, wer in Frage kommen könnte.
»Das bezweifle ich stark. Janey hat zwar haufenweise Bekannte, aber keine richtigen Freunde. Mum?« fragte Jess gedehnt, weil sie Angst hatte, ihre Mutter zu verletzen. »Könntest du dir vorstellen, dass sie zu Dad gegangen ist?«
»Natürlich.« Ally seufzte erleichtert auf. Sie war nicht im geringsten beleidigt. »Vielleicht ist sie wirklich bei ihm.« Sie griff zum Telefonhörer.
Bei Belinda nahm niemand ab. Sie wartete kurz und wählte dann die Nummer von Century, während sie gleichzeitig einen Blick auf ihre Uhr warf. Neun Uhr war vielleicht noch ein bisschen früh für Fernsehleute. Doch am anderen Ende der Leitung meldete sich eine Stimme.
»Hallo, habe ich dort die Redaktion der Matt-Boyd-Show? Ist Matt da? Hier spricht Allegra Boyd.«
»Leider nein, Mrs. Boyd. Wir haben heute unsere Sondersendung, und er muss in Soho noch einen Kommentar aufzeichnen. Wir erwarten ihn aber jeden Augenblick zurück. Sowie er kommt, sage ich ihm, dass Sie angerufen haben.«
»Vielen Dank. Würden Sie ihm bitte ausrichten, er soll mich zu Hause anrufen? Es ist dringend.« Sie hielt inne. »Nein, sehr dringend.
Sie legte den Hörer wieder auf. Janey hätte sich keinen schlechteren Tag aussuchen können. Wenn Matt heute seine Sondersendung hatte, dann konnte sie unmöglich auf seine Hilfe setzen. Zum erstenmal kam ihr der Gedanke, die Polizei einzuschalten. Aber die würde dem Problem keine Aufmerksamkeit schenken. Eine ausgerissene Achtzehnjährige rangierte gewiss am untersten Ende der Dringlichkeitsskala.
»Es käme noch jemand in Frage.« Ally war so in Gedanken versunken, dass sie bei Jess‘ Worten fast aufgesprungen wäre.
»Wer?«
»Adam.«
Ally fiel ein Stein vom Herzen. Das klang plausibel. Wenn sie nicht bei Belinda war und sich auch nicht bei Century herumtrieb, um ihren Vater zu suchen, dann war Adam die naheliegendste Lösung.
»Wo wohnt er?«
Jess setzte ein betroffenes Gesicht auf, weil sie wusste, dass sie ihrer Mutter einen Dämpfer verpassen musste. »Das ist ja das Blöde. Ich weiß die Adresse nicht. Nur, dass es in Notting Hill ist. Irgendwo in der Nähe der Portobello Road.«
Ally hatte das Gefühl, als hätte ihr gerade jemand einen Schlag in den Magen versetzt. Diesen Teil von London kannte sie kaum. Sie war nur ein paarmal auf den Antiquitätenmärkten dort gewesen. Sie brauchte unbedingt jemanden, der sich in der Gegend auskannte. Dann fiel ihr ein, dass sie in letzter Zeit irgend etwas im Zusammenhang mit Notting Hill gehört hatte. Was war es nur gewesen? Plötzlich wusste sie es wieder. In den Nachrichten hatte sie einen Bericht über den Karneval in Notting Hill gesehen. Und Danny hatte ihr erzählt, dass er in seinen ersten Londoner Jahren dort gewohnt hatte. Ally begann sich langsam
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