Lieblingslied: Roman (German Edition)
Himmels willen sollten wir genug Geld verdienen, um die Arztkosten zu bezahlen?
Obwohl Anna auch um die praktischen Aspekte unserer Situation wusste, beschäftigten sie eher Dinge wie, wem das Baby ähnlich sehen und ob es ein Junge oder ein Mädchen werden und welche Begabungen es erben würde: die Liebe zur Musik des Vaters oder das Zeichentalent der Mutter.
»Vielleicht hat er oder sie überhaupt keine künstlerischen Neigungen«, bemerkte ich eines Nachts. »Vielleicht wird ein Junge ein Technikfreak wie dein Bruder und seine Kreativität beschränkt sich auf das Programmieren von Videospielen.«
Anna schnappte nach Luft. »Kannst du dir vorstellen, dass wir einen kleinen Stuart großziehen? Ausgeschlossen. Unser Baby bekommt vom ersten Tag an Kunst und Musik eingetrichtert wie andere Babybrei.« Obwohl es bereits nach Mitternacht war, schlug sie die Decke zurück und sprang aus dem Bett.
»Was machst du?«
»Ich habe ein paar lustige Ideen für Tierbilder, die ich ins Kinderzimmer hänge – vorausgesetzt, unser Baby bekommt ein Kinderzimmer. Intelligente, witzige und bunt schillernde Bilder, damit unser Kind die richtigen Vorbilder hat. Ich arbeite daran, solange die Ideen noch frisch sind. Schlaf du ruhig.«
»Anna«, rief ich, bevor sie aus der Schlafzimmertür schlüpfte. »Dir gefällt die Vorstellung, Mutter zu werden, was?«
Sie huschte zum Bett zurück und gab mir einen letzten Gutenachtkuss. »Ich habe Angst davor«, gab sie zu. »Aber ich bin unsagbar glücklich.«
Aus purer Notwendigkeit heraus mussten unsere jeweiligen Zukunftsträume hinter den unmittelbaren, familiären Bedürfnissen des Alltags zurücktreten. Wir waren beide entschlossen, die Ärmel aufzukrempeln, um alles richtig zu machen. Ich nahm jeden Job als Aushilfslehrer an, der sich bot, gleichgültig, ob ich als Musiklehrer oder anderweitig eingesetzt wurde. Außerdem arbeitete ich noch mehr Stunden in der Musikalienhandlung und hatte drei zusätzliche Privatschüler für den Gitarrenunterricht angenommen.
Anna arbeitete bis zu dreißig Stunden in der Woche im Kaufhaus. Gern hätte sie auch noch länger gearbeitet, doch dann wäre sie sozialversicherungspflichtig gewesen, und das wollte die Geschäftsleitung vermeiden. Zweimal pro Woche gab sie Aquarellunterricht in einem Bastelbedarfsladen. Das Geld, das Anna dabei verdiente, betrachtete sie als ihr Taschengeld, das sie nach eigenem Gutdünken ausgeben konnte. Normalerweise investierte sie es in etwas »fürs Baby«: Babyschuhe, Strampelanzüge und gelegentlich sogar eine ganze Kombination.
»Ich verstehe nicht, wie du schon jetzt Sachen für ein Neugeborenes kaufen kannst«, bemerkte ich, als sie mir ihre neuesten Errungenschaften zeigte. »Wir wissen doch nicht mal, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird.«
»Das ist Nebensache. Hellgrün und Gelb sind neutrale Farben und Häschen, Hundewelpen und Teddybären sind geschlechtslos. Sie passen zu Jungen und Mädchen.«
»Du hast dir offensichtlich eine regelrechte Strategie überlegt, was?«
Sie sah an sich herab, legte eine Hand auf ihren Bauch, der sich allmählich zu wölben begann, und lächelte zufrieden. »Ich denke immer strategisch.«
Während des ersten Vierteljahres fiel mir eine stetige Abnahme der Liebesnachrichten auf, die ich normalerweise von Anna erhalten hatte – allerdings war dies nur die Folge der schwindenden Regelmäßigkeit meiner Gitarrenständchen. Während ich in den ersten Ehemonaten fast täglich für sie gespielt hatte, war es in der zwölften Schwangerschaftswoche schon eine Leistung, wenn ich Karl wöchentlich zweimal aus dem Gitarrenkasten nahm. Anna allerdings hinterließ mir nach jedem Mal pünktlich ein Briefchen, auch wenn sie mich damit nur daran erinnerte, dass sie mein Spiel gern öfter gehört hätte.
Obwohl wir uns noch arm wie Kirchenmäuse fühlten, fanden wir zu Beginn des zweiten Vierteljahres unserer Ehe eine akzeptable Zweizimmerwohnung am anderen Ende der Stadt und zogen erneut in unsere eigenen vier Wände. Um Geld für die Zeit nach der Geburt des Babys auf die hohe Kante zu legen, gab ich zusätzlich auch an den Wochenenden Gitarrenunterricht.
Angesichts der vielen Stunden, die wir beide arbeiteten, kam uns unsere gemeinsame Zeit verschwindend kurz vor. Spätnachts mahnte Anna gelegentlich an, dass ich kürzertreten müsse, zu viel Arbeit angenommen hätte.
»Ist nur vorübergehend. Solange, bis das Baby da ist«, entschuldigte ich mich dann. »Damit wir genug Geld
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