Lieblingslied: Roman (German Edition)
Unaufgeregtheit meiner Erfahrung als Straßenmusikant in Österreich zu. Nachdem Mark mich kurz vorgestellt hatte, wiederholte er, dass ich genau fünf Minuten Zeit hätte, um ein Jingle zu komponieren. Anschließend erkundigte er sich, ob ich noch Fragen hätte.
»Ja, zwei«, antwortete ich. »Erstens: Steht mir auch eine Gitarre zur Verfügung? Ich kann zwar Klavier spielen, aber mit einer Gitarre in der Hand bin ich kreativer.«
Mark warf einer jungen Frau aus dem Kreativteam, die in der Nähe der Tür saß, einen fragenden Blick zu. Sie nickte, stand auf und verließ den Konferenzraum. »Susan arbeitet auch am liebsten mit der Gitarre«, sagte Mark. »Sie leiht Ihnen ihr Instrument.«
»Danke. Meine andere Frage bezieht sich auf die Präsentation des ›Jingles‹. Ich treffe zwar den Ton … zumindest in meiner Stimmlage, aber ein guter Sänger bin ich wirklich nicht. Was ist Ihnen wichtiger? Eine gute Melodie oder meine Gesangskünste?«
Einige der im Raum versammelten Werber konnten sich ein Lachen nicht verkneifen. »Unter uns, hier findet sich kaum ein guter Gesangsinterpret«, erwiderte Mark schmunzelnd. »Susan ist vermutlich die Beste von uns, aber nach ihr klafft eine große Lücke. Uns interessiert vor allem Ihre Kreativität als Komponist. Die Interpretation übernehmen letztendlich Profis. Kreieren Sie was Griffiges … am besten einen Ohrwurm. Den Rest übernehmen wir.«
Kurz darauf kehrte Susan zurück und überreichte mir eine zwölfsaitige, elektroakustische Martin-Gitarre.
»Gut. Fangen wir an«, begann Mark. »Die Firma, für die der Werbespot gedacht ist, ist dieselbe wie bei allen anderen Kandidaten. Es handelt sich um die Firma Nick-Jensen-Karosseriebau. Sie hat sich auf die Reparatur von Unfallautos spezialisiert. Das mittelständische Unternehmen hat zahlreiche Filialen in Kalifornien, möchte weiter expandieren und braucht einen eingängigen Werbeslogan. Ihre Aufgabe ist es, ein gutes Soundlogo zu entwerfen.« Er warf einen Blick auf die Uhr, drückte einen Knopf und sagte: »Sie können jetzt anfangen.«
Bis zu diesem Punkt ging es mir ausgezeichnet – keine Sorgen, kein Stress, ich war die Ruhe selbst. Als ich jedoch das Ticken der Uhr hörte, wich das Blut aus meinem Gehirn, und ich fühlte mich so leer und uninspiriert, wie die Mienen der Werber, die mich anstarrten. In den ersten dreißig Sekunden saß ich nur da, hielt die Gitarre im Arm und erwiderte regungslos die Blicke meines »Publikums«. Allmählich begann ich zu schwitzen. Das war das Zeichen, dass ich echte Probleme hatte. Während meine Körpertemperatur weiter anstieg, zupften meine Finger nervös und ziel- und orientierungslos die Gitarrensaiten. Erst nach einer halben Minute merkte ich, dass ich begonnen hatte, die Bohemian Rapsody von Queen aus meinem alten Wiener Repertoire zu intonieren.
Anstatt so zu tun, als hätte ich mich in der Melodie vergriffen, spielte ich einfach weiter. Nach und nach konnte ich mir der Aufmerksamkeit sämtlicher Teammitglieder sicher sein. Einige bewegten die Köpfe im Takt. Bis dahin ausdruckslose Mienen verklärten sich zu einem Lächeln.
Nach vier Minuten verkündete Mark gelassen, dass mir noch eine Minute bliebe, um eine Werbemelodie zu präsentieren. Ich zerbrach mir den Kopf, versuchte einen Einstieg zu finden … aber es fiel mir keine Notenkombination ein. Die Zeit verstrich. Schließlich blieben mir noch dreißig Sekunden, und meine Finger glitten immer schneller über die Saiten. In diesem Moment fiel mir Annas Rat vom Morgen ein: Falls es bei deinem Gespräch dazu kommt … vergiss nicht, dass die einfachsten Melodien die eingängigsten sind – ein schlichter Sound, den man fast unbewusst aufschnappt und nicht mehr vergisst. Sogar ein Firmenname kann in Kombination mit einer guten Melodie den Ausschlag geben.
Mark schien enttäuscht zu sein. Er bewegte die Lippen und signalisierte mir: Noch fünfzehn Sekunden.
Der Firmenname wiederholte ich stumm für mich. In diesem Augenblick hatte ich im mittleren, schnellen Teil der Rhapsodie den Höhepunkt des Gitarrensolos erreicht. Da ich keine andere Option mehr hatte, schlug ich die letzte Note so laut wie möglich an und setzte Annas Rat um, so gut ich konnte: Nick … Jensen … Karosserie … Bau …«, sang ich und zupfte bei jeder Silbe eine Saite. Den letzten Ton schlug ich kräftig an, erzeugte einen langen, vibrierenden Nachhall und fügte hinzu: »Unfallinstandsetzung … im Handumdrehen!« Ich endete mit einem
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