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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K.A. Milne
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mit, dass ich glaubte, die ganze Welt müsse mich hören.
    Als die letzten Töne verklungen waren, schlich ich mich aus dem Schlafsaal und zu Karl in den Korridor. Karl lächelte stumm, als ich die Tür hinter mir schloss. Er spielte ungerührt weiter und intonierte eine ganze Reihe von bekannten Weihnachtsliedern, darunter auch ein oder zwei Stücke aus dem Messias von Händel. Der ganze Korridor war plötzlich von Musik erfüllt. Nach einer halben Stunde bedankte ich mich lächelnd, stand auf und ging zurück in Richtung Tür. Ich hatte diese noch nicht erreicht, als Karl mich zurückrief. Im ersten Moment erstarrte ich unwillkürlich, fürchtete das Schlimmste. Als ich mich jedoch langsam zu ihm umdrehte, griff er in seinen Gitarrenkasten und holte ein großes, frisch gebackenes Brot heraus. ›Von meiner Mutter‹, sagte er. ›Frohe Weihnachten.‹ Ich fragte ihn, ob seine Mutter wisse, für wen das Brot bestimmt sei. Karl nickte nur wortlos. Die Nächstenliebe wurde in seiner Familie offenbar durch die Mutter und ihn selbst gepflegt. Sein Vater jedenfalls blieb davon unberührt.
    Ich bedankte mich, schlich in den Schlafsaal zurück und verteilte das Brot unter den Männern.
    Während ich in jener Nacht im Bett lag, dachte ich über das Geschenk des ›feindlichen‹ Wachmanns Karl nach, der mich ebenso gut hätte erschießen können. Aber er hatte mir nicht nur ein Brot geschenkt, sondern einiges riskiert, indem er es ins Lager geschmuggelt und an einen Häftling verschenkt hatte. Lebensmittel an Lagerinsassen zu verteilen wurde durch die standrechtliche Erschießung bestraft.
    Nie zuvor und nie wieder danach habe ich ein Weihnachtsgeschenk erhalten, das mir so viel bedeutet hat wie dieser Laib Brot.
    In der Nacht zum Zweiten Weihnachtsfeiertag wartete ich vergeblich auf Karl. Ich fürchtete bereits, er wäre versetzt – oder schlimmer noch, entdeckt worden. Wie sich zum Glück herausstellte, hatte ihm der Vater einen Tag freigegeben. In der darauffolgenden Nacht, kurz vor Mitternacht, trat er wie üblich die Nachtwache in unserer Baracke an und spielte auf der Gitarre. Kaum hatte ich jedoch den Korridor betreten, hielt er abrupt inne. ›Du wirst immer magerer‹, bemerkte er.
    Karl hatte recht. Ich war erst fünf Wochen in Mauthausen, doch die Kombination aus Schwerstarbeit und äußerst mageren Essensrationen forderte ihren Tribut. Ich hatte inzwischen mindestens fünfzehn Kilo abgenommen. Die Haut hing bereits schlaff um meine Knochen. Doch damit war ich natürlich nicht der Einzige. Vielen ging es noch wesentlich schlechter als mir.
    Ich beobachtete stumm, wie Karl seinen Gitarrenkasten aufklappte und ein in Papier gewickeltes Kuchenstück hervorholte. Ich aß es mit schlechtem Gewissen, während Karl darauf beharrte, dass der Kuchen allein für mich bestimmt sei. ›Allen kann ich nicht helfen‹, erklärte er. ›Es würde für uns alle den Tod bedeuten. Aber ich kann dir helfen. Das darfst du nicht ablehnen.‹
    Von da an erhielt ich jede Nacht etwas Essbares. Nicht genug, um wieder Gewicht zuzulegen, aber zumindest genug, um nicht zu verhungern.
    Anfang Februar 1945 machten im Lager Gerüchte die Runde, Deutschland sei bald am Ende, würde den Krieg verlieren, und eine Befreiung stehe unmittelbar bevor. Wie als Reaktion auf diese Gerüchte oder vielleicht auch aus Verzweiflung darüber, dass sie der Wahrheit entsprachen, schickte die Lagerleitung hektisch immer mehr Häftlinge in die Gaskammern.
    Was menschliche Grausamkeit betraf, konnte mich damals kaum noch etwas überraschen. Ich hatte alles gesehen: Hinrichtungen am Galgen, durch Schläge, Elektroschocks, durch Verhungern und Ertränken; Massenerschießungen und tödliche Injektionen. Täglich musste ich mit ansehen, wie die Alten und Schwachen in die Gaskammern getrieben wurden. Zudem war es ein offenes Geheimnis, dass im Keller des Gebäudes der Lagerleitung medizinische Experimente durchgeführt wurden. Die Schreie, die von dort immer wieder nach draußen drangen, sprachen für sich. Außerdem gab es natürlich noch die sogenannte Fallschirmspringerwand: Eine fünfzig Meter hohe, fast senkrecht abfallende Felswand am Abbruchhang des Steinbruchs, über die Häftlinge von den SS -Wachmannschaften ›entsorgt‹ wurden. Gelegentlich hielt einer der Wachleute dort einem Häftling die Pistole an die Schläfe und stellte ihn vor die Wahl: Entweder selbst erschossen zu werden oder einen anderen Häftling über die Kante zu stoßen. Der Betroffene

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