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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K.A. Milne
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mittlerweile vier Monate her, dass ich Elisabeth im Lager das letzte Mal gesehen hatte, aber die Schuldgefühle gegenüber ihr und ihrer Familie waren so akut wie am ersten Tag, als ich tatenlos zusehen musste, wie Oskar ihre Töchter Arla und Aloisa ertränkt hatte. Als ich sie jetzt traf …«
    Großvaters Stimme versagte. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, aber es war deutlich zu hören, dass er weinte.
    »… bin ich in Tränen ausgebrochen. ›Es tut mir so leid, Elisabeth‹, sagte ich mühsam. ›Wäre ich nicht gewesen, wäre alles anders gekommen. Es tut mir leid … so unsagbar leid.‹
    Elisabeth ging ein paar Schritte zur Seite, außer Hörweite der Kinder. ›Unsinn‹, flüsterte sie. ›Sie müssen sich nicht für Dinge entschuldigen, für die Sie nichts konnten.‹
    ›Aber ich habe die Soldaten praktisch zu Ihnen geführt. Es war mein Fehler! Wenn ich gewusst hätte, dass ich Sie und Ihre Familie in Gefahr bringe, ich schwöre, ich …‹
    Sie schüttelte lächelnd den Kopf. › Also wenn Sie sich unbedingt schuldig fühlen möchten, dann bleibt mir nur eines …‹
    ›Und das wäre?‹, fragte ich.
    Elisabeth straffte die Schultern und antwortete mit sanfter Stimme: ›Ich verzeihe Ihnen.‹«
    Mittlerweile ließ Großvater seinen Tränen freien Lauf. Ich stellte mir vor, wie sie über die Runzeln und Falten in seinem von Wind und Wetter gegerbten Gesicht flossen und auf die alte Holzkiste zu seinen Füßen tropften.
    »› Ich verzeihe Ihnen‹, hat sie gesagt«, fuhr er mit fester Stimme schließlich fort. »Bis auf den heutigen Tag«, sagte er und betonte jedes Wort so eindringlich, als könne er sich damit Annas Aufmerksamkeit vergewissern. »…sind das die kostbarsten Worte, die ich je gehört habe. In so mancher Hinsicht haben sie mir, wie Karl zuvor, das Leben gerettet.
    Am darauffolgenden Morgen, nach dem Frühstück, wurde ich in die Baracke gerufen, in der die deutschen SS -Männer eingesperrt waren. Der diensthabende Offizier erklärte mir, Oskar wolle mich sprechen.
    ›Ah, der Spion kehrt zurück‹, empfing er mich, als ich seine Zelle betrat.
    ›Was wollen Sie von mir?‹, blaffte ich ihn an und versuchte, mich von seinem bösen Blick nicht beeindrucken zu lassen.
    ›Sie sollen mir nur zuhören, mein junger amerikanischer Freund‹, erwiderte er.
    Ich sagte ihm, dass wir alles andere als Freunde seien.
    ›Ach nein? Aber Karls Freund sind Sie doch gewesen oder täusche ich mich?‹
    ›Das bin ich. Und ich bin stolz darauf‹, entgegnete ich.
    ›Gut‹, erklärte er. ›Dann gefällt Ihnen sicher, was ich zu sagen habe. Gestern Nacht habe ich über unsere Unterhaltung nachgedacht. Bedauerlicherweise war ich nicht sehr entgegenkommend. Dabei haben Sie es verdient zu erfahren, was aus Karl geworden ist.‹
    ›Woher der Sinneswandel?‹, wollte ich wissen.
    Er lachte. Ich hasste dieses schaurige Lachen. ›Sagen wir, ich tue das aus Gefälligkeit. Eines Morgens haben wir Karl nackt bis auf die Unterwäsche in einer Baracke gefunden. Ich schätze, Sie wissen, welcher Morgen das gewesen ist, stimmt’s? Er hatte Ihnen zur Flucht verholfen. Und es nicht mal abgestritten. Zur Strafe haben wir ihn und alle anderen aus der Baracke zum höchsten Punkt des Abbruchhangs über dem Steinbruch geführt.‹«
    Großvater wurde von seinen Gefühlen übermannt. Er senkte den Kopf und weinte, bis er keine Tränen mehr hatte. Dann nahm er den Faden wieder auf: »Oskar fuhr fort: ›Ich habe Karl vor die Wahl gestellt: Seine Haut zu retten, indem er die anderen Häftlinge erschießt. Oder freiwillig in die Tiefe zu springen und die anderen Häftlinge vor dem sicheren Tod zu bewahren. Karl, dieser Idiot, hat keinen Moment gezögert. Er ist gesprungen. Er hat nicht einmal geschrien!‹«
    Mittlerweile standen auch mir Tränen in den Augen. Karl war ein Held gewesen. So lange ich denken konnte, hatte ich, ohne es zu wissen, auf der Gitarre eines wahren Helden gespielt.
    »Die Soldaten in meiner Begleitung haben kein Deutsch gesprochen«, fuhr mein Großvater fort. Er hatte seine normale Stimmlage wiedergefunden. »Sie hatten keine Ahnung, was Oskar gesagt hatte. Sie wollten lediglich wissen, ob mit mir alles in Ordnung sei. Ich habe nur genickt. ›Und die anderen Häftlinge aus der Baracke?‹, wollte ich von Oskar wissen. ›Was ist aus ihnen geworden?‹
    Oskar hat nur zynisch und schadenfroh gelacht. Noch in der Erinnerung schien er sich an dem Ereignis zu ergötzen. ›Ich habe sie

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