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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K.A. Milne
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sollten?«
    »Wie … ach so. Ja, richtig!«, stotterte Stuart. Er schien enttäuscht zu sein. Offenbar hätte er gern erfahren, was ich Großvater zu sagen hatte. »Auf geht’s, Jungs!«
    Ich wartete, bis alle das Baumhaus verlassen und den Rasen überquert hatten, bevor ich über Großvater herfiel. »Bist du von allen guten Geistern verlassen? Wie kommst du dazu, meine Autorität derart zu untergraben?«
    Er packte den Griff seines Stockes mit beiden Händen. »Musste mal gesagt werden.«
    »Warum? Woher nimmst du dir das Recht, so etwas vor Hope zu sagen?«
    Er erwiderte meinen Blick ungerührt. Damit war klar, dass er nicht klein beigeben würde. »Warum sollte sie Anna nicht sehen dürfen, Ethan? Woher nimmst du dir das Recht, sie von ihr fernzuhalten?«
    »Weil ich ihr Vater bin! Und weil ich weiß, was für sie gut ist!«
    »Ach wirklich?«
    »Das ist doch wohl normal.«
    »Und wann hast du vor, Hope die Wahrheit zu sagen? Wann darf sie ihre Mutter sehen? Morgen? Übermorgen? Nächste Woche? Oder vielleicht nie?«
    Ich lehnte mich gegen die Sperrholzwand und dachte über seine Fragen nach. Ich musste mir meiner Antwort sicher sein, von ihr überzeugt sein. »Sie wird Anna besuchen …«, sagte ich gedehnt. »Sobald sie aufgewacht ist.«
    Großvater zog fragend die Augenbrauen hoch. Dann erkundigte er sich mit gedämpfter Stimme: »Und was ist, wenn es nicht dazu kommt? Was, wenn uns Anna heute Nacht oder morgen plötzlich verlässt? Was, wenn ihr Körper einfach entscheidet, den Geist aufzugeben? Hope weiß bereits, dass etwas nicht in Ordnung ist, dass die Dinge schlechter stehen als du zugibst. Meinst du nicht, dass sie ein Recht auf die Wahrheit hat? Dass ihr die Chance zusteht, ihre Mutter zu sehen, solange sie noch am Leben ist? Willst du ihr das wirklich verwehren?«
    Ich fühlte, wie mir die Röte erneut ins Gesicht stieg. Vielleicht weil ich wusste, dass er recht hatte. Aber ich war noch nicht bereit, klein beizugeben. »Wenn ich ihr lebenslange Albträume durch den wahrhaftig erschreckenden Anblick ihrer Mutter ersparen kann … dann werde ich das auf jeden Fall auch tun.«
    »Na, gut«, seufzte er sichtlich enttäuscht. »Du bist ihr Vater. Wenn das deine Meinung ist, tut es mir leid, dass ich mich eingemischt habe. Ich bin mit der Art und Weise, wie du das handhabst, nicht einverstanden. Trotzdem hast du recht. Ich hätte dich nicht bloßstellen dürfen.«
    »Nein, das hättest du wirklich nicht tun dürfen. Und da wir uns jetzt einig sind … Brauchst du Hilfe, um vom Baum runterzukommen? Ich muss los! Ich möchte zurück ins Krankenhaus.«
    »Geh nur«, murmelte Großvater resigniert. »Bin noch nicht zu alt, um auf einen Liftknopf zu drücken.«
    Ich ließ Großvater allein im Baumhaus zurück und ging ins Haus, um ein paar Sachen zu packen. Was ich zusätzlich brauchte, steckte im Arbeitszimmer in einem Aktenordner mit der Aufschrift »Dokumente« in unserem Metallschrank. Die dritte abgeheftete Urkunde war die, die das Krankenhaus haben wollte: Annas Patientenverfügung .
    Bevor ich sie in einen braunen Umschlag schob, überflog ich den juristisch relevanten Abschnitt. Er bestätigte nur, was ich bereits wusste. Anna hatte ihre Wünsche unmissverständlich dargelegt. Zuvor hatte sie damals alle möglichen Statistiken und Medizinzeitschriften gewälzt, die sich mit den Genesungschancen von Patienten befassten, deren Leben von der Gerätemedizin abhingen. Anschließend hatte sie sich nach Abwägung der Fakten für einen Zeitraum von einem Monat entschieden. Danach sollten sämtliche lebensverlängernde Maßnahmen eingestellt werden.
    »Ich möchte nicht, dass du das länger als einen Monat ertragen musst«, hatte sie mir erklärt. »Wenn es keine konkreten Anzeichen dafür gibt, dass ich je wieder gesund werde, heißt das. Ich hoffe wirklich nicht, dass wir je in diese Situation kommen, aber wenn, dann sollte man einen solchen Zustand nicht auf ewig ausdehnen.« Und ich war einverstanden gewesen, hatte meine eigene Patientenverfügung in demselben Wortlaut abgefasst. Wir hatten beide eine Formulierung unterzeichnet, mit der wir unter bestimmten medizinischen Voraussetzungen – unter anderem bei Langzeitkoma – verfügen, dass lebensverlängernde Maßnahmen nach Ablauf von vier Wochen beendet werden sollten. Vier lausige Wochen! Da ein Viertel der Zeit bereits verstrichen war, erschien mir dieser Zeitrahmen jetzt definitiv viel zu kurz.
    Am liebsten hätte ich das Dokument in den nächstbesten

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