Lieblingsmomente: Roman
klasse. Ich bin beeindruckt, weil es so viel mehr zeigt, als es auf den ersten Blick erahnen lässt. Kannst du Gedanken lesen? Ich bin kein Profi, aber ich denke, du hast ein phantastisches Auge für Emotionen.
Habe dein Päckchen gestern noch heil abgegeben. Wir sehen uns dann Freitag. Mit dem geschwollenen Auge werde ich als Türsteher bestimmt total beeindruckend aussehen.
Grüßle,
Tristan
Eine einfache Mail. Doch lese ich sie jetzt bereits das zweite Mal. Und noch einmal. Ihm hat das Foto gefallen, er hat mehr gesehen als nur eine tanzende Menge – oder er wollte einfach höflich sein. Wieso aber sollte er höflich sein wollen?
Betreff: Re: Re: Re: Erste Hilfe & Dankeschön
Tristan,
es freut mich, dass dir das Bild gefällt. Ich habe einfach drauflosgeklickt, als ich dich da stehen gesehen habe. Dein Auge wird bestimmt einige Leute abschrecken, aber so soll das ja auch sein. Schön grimmig gucken, dann hast du an dem Abend keinen Ärger.
L.
Wieso ich lächeln muss, weiß ich selber nicht. Ich schüttle kurz den Kopf und erinnere mich daran, wo ich gerade bin. In meinem Büro, in dem ich eigentlich arbeiten sollte. Ich starte meinen Tag immer mit der gleichen Routine. Ich checke meine E-Mails, dann checke ich Facebook. Dort tummeln sich unendlich viele Jobangebote für jemanden wie mich. Man wird zu einer Party eingeladen, man erfährt von einer Party. Je nachdem wer als DJ gebucht wird oder wie viele bestätigte Gäste der Event hat, fragt man an, ob ein Fotograf bereits gebucht ist, und falls nicht, bietet man seine Facebook-Freundschaft und seine Dienste an. So habe ich inzwischen über vierhundert digitale Freunde in meiner Liste, von denen ich nur wenige tatsächlich zu meinem echten Freundeskreis zähle. Ich sehe auch Oliver auf meiner Startseite, der vor knapp zehn Minuten seinen Status aktualisiert hat.
Oliver Stettner vor 8 Minuten:
Stammtisch mit den Jungs heute Abend, so soll es sein.
So soll es sein. So viel zu meinem Plan, ihn vielleicht mit meiner Anwesenheit angenehm zu überraschen. Auch die Kommentare seiner Freunde lassen darauf schließen, dass weibliche Begleitung heute Abend weder erwünscht noch erwartet wird. Und so klicke ich auf Beccies Profil. Gerade will ich ihr eine kurze Nachricht mit der Frage nach ihrem Abendprogramm hinterlassen, als mir der Name ihres neuesten kürzlich hinzugefügten Freundes ins Auge springt.
Tristan Wolf.
Auf dem kleinen Foto hätte ich ihn nicht sofort erkannt. Irgendwas ist anders. Aber jetzt, da ich mich gefährlich weit vorbeuge und meine Kinnlade fast auf der Tischplatte landet, erkenne ich sein Gesicht nun doch klar und deutlich. Ja, das ist Tristan. Und schon beginnt es leise zu surren und zu flattern. Leider ist sein Profil gänzlich auf Privat gestellt, und somit kann ich weder seine Pinnwand noch seine Fotos durchstöbern. Meine Maus bewegt sich langsam auf dieses verführerische Feld »Freund hinzufügen« . Nichts wäre verkehrt. Ich habe so viele Freunde, mit denen ich nicht viel zu tun habe. Ich könnte ihn adden und dann nie wieder auf sein Profil zurückkehren. Das habe ich vorher auch gemacht. Es ist nichts dabei. Beccie hat es ja auch gewagt. So klicke ich todesmutig drauf und schließe das Fenster dann ganz schnell wieder. Mein Puls rast. Was mache ich da? Ich bin hier, um zu arbeiten, nicht um einen Kerl im World Wide Web zu verfolgen.
Ich öffne mein Photoshop und nehme einen großen Schluck Cola. Ich komme mir vor wie damals mit fünfzehn, denn jetzt beginnt das ganze Drama ja erst. Wird er meine Anfrage annehmen? Wird er mich ablehnen? Wenn ja, wieso? Wenn er mich annimmt, wann wird er mich annehmen? Und wieso zum Henker ist es mir so wichtig?
Wie ein Mantra hole ich mir Beccies Worte ins Gedächtnis. Er ist nicht mein Typ. Kein Stück. Und ich habe einen Typen. Oliver. Wir sind glücklich, wir wohnen und leben zusammen. Ihm habe ich, mehr oder weniger, meine Zukunft geschenkt. Nun, wenn ich jetzt einen kurzen Moment länger darüber nachdenke, eher weniger. Aber trotzdem, ich habe ihm bereits fünf Jahre meines Lebens und einen großen Teil meines Herzens geschenkt.
Das Klingeln des Telefons reißt mich so unvorbereitet aus allen Gedanken, dass ich einen kurzen Moment brauche, um mich wieder in die Realität zu begeben.
» Pix-n-Party.com , Layla Desio, hallo.«
»Spar dir die ganze Nummer, ich muss dir was erzählen!«
Auf Beccie und ihr Timing ist Verlass, manche Dinge ändern sich nie – und das ist so
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