Lieblingsmomente: Roman
Blicke treffen, stiehlt sich wieder dieses freche Lächeln auf seine Lippen.
»Und? Hast du irgendwo ein Tattoo?«
Ich muss fast lachen. Nein, habe ich nicht. Ich sterbe ja schon bei der Blutabnahme. Wie um alles in der Welt sollte ich da eine Tattoo-Session voller Nadelstiche überstehen?
»Nein. Ich stehe nicht auf Schmerzen.«
»Wegen den Schmerzen habe ich es auch nicht gemacht.«
»Weswegen dann?«
Er sieht kurz auf sein Tattoo, gedankenverloren streicht er mit dem Finger über die Buchstaben, dann erst sieht er wieder zu mir.
»Weil ich sie von Zeit zu Zeit verliere.«
»Als Erinnerung daran, dass es sie doch gibt?«
Er nickt und sieht mir direkt in die Augen. Etwas ist anders. Seine grünen Augen strahlen nicht mehr so wie sonst. Sie wirken dunkel, er wirkt traurig, aber ich traue mich nicht zu fragen, wieso er die Hoffnung von Zeit zu Zeit verliert. Vielleicht will er es mir irgendwann einmal erzählen. Wenn nicht jetzt, dann vielleicht eines Tages.
Er schüttelt leicht den Kopf, als wolle er unangenehme Gedanken vertreiben, und es scheint ihm zu gelingen, da das Leuchten in den Augen langsam zurückkehrt, das Lächeln ebenfalls. Ich hole kurz tief Luft, lege mich ins Gras und schaue in den blauen Sommerhimmel.
»Ich kenne das Gefühl …«
Das spreche ich sonst nie aus, aber jetzt scheint mir ein guter Moment dafür. Tristan lässt mich nicht aus den Augen. Ich spüre seinen Blick auf mir.
»… klar, das ist Meckern auf hohem Niveau, aber manchmal …«
Ich sollte das vielleicht doch nicht sagen, ich sollte das nicht mal denken. Es geht mir gut, ich habe alles, was ich will, und ich sollte wirklich aufhören, dauernd mehr zu wollen.
»Manchmal?«
Er sammelt die Reste seines Burgers ein, faltet sie in der Alufolie zusammen und streckt sich aus. Er liegt bäuchlings neben mir im Gras und sieht mich fragend an.
»Manchmal frage ich mich, ob es das wirklich ist. Ich meine, ist das alles ?«
Er stützt sein Kinn in die Hände, sagt nichts, hört nur zu. Beccie hätte mir jetzt schon gesagt, dass ich ein phantastisches Leben habe und obendrein noch gesund bin, dass ich einen Freund habe, der mich liebt und den ich liebe, und dass ich einen tollen Job habe, der mir Spaß macht. Ich lasse mich nur zu gerne von ihr überzeugen, aber Tristan bleibt stumm. So etwas kenne ich nicht.
»Was ist aus den ganzen Plänen geworden … und den Träumen?«
Ich schließe die Augen, die plötzlich leicht brennen, und spüre dieses Gefühl in mir. Dieses kalte, stumpfe Gefühl im Bauch. Ich belüge mich erfolgreich selber. Ich rede mir ein, diese Träume wären alle in Erfüllung gegangen oder nicht so wichtig. Aber es ist so schwer, sich selbst zu belügen – auf Dauer und vor allem, wenn diese Träume noch dauernd in einem flattern. Ich bekämpfe sie, schiebe sie weit, weit von mir weg, aber sie kommen tapfer immer wieder zurück. Ja, ich habe noch Träume, große Träume, und ich habe langsam, aber sicher Angst davor, dass sie immer schwächer werden und irgendwann nicht mehr wiederkommen und mich aufgeben.
»Wir sind doch noch jung. Was hält dich davon ab?«
So ziemlich alles.
»Ich mich selbst, nehme ich an.«
Es sich endlich einmal offen selbst einzugestehen tut gut. Die Sonne wärmt mein Gesicht, und ich genieße diesen kurzen Moment der Ehrlichkeit mit einem fast Fremden. Vielleicht trifft es Fremder nicht ganz, aber ich kenne ihn auf keinen Fall gut genug, um ihm all das zu erklären.
»Und wenn das noch nicht alles wäre, was würdest du tun?«
Sofort huscht ein Grinsen über mein Gesicht.
»Reisen und fotografieren!«
Es muss für jemanden wie Tristan vollkommen albern klingen. Seine Freundin hat bestimmt schon die ganze Welt gesehen. Und seine Fotos bei Facebook haben ihn auch an unterschiedlichen Orten gezeigt.
»Wohin reisen?«
In meinem Kopf gibt es irgendwo verstaubt in der hintersten Ecke eine Liste mit Orten, die ich gerne sehen würde, aber ich weiß nicht, ob ich ihm das einfach so erzählen möchte. So lange habe ich nicht mehr daran gedacht, wieso sollte ich sie jetzt wieder ausgraben?
»Australien. China. Südamerika. Oder so.«
Das ist keine Lüge, aber ich verschweige lieber die ganzen anderen exotischen Orte.
»Und was sagt dein Freund dazu?«
Oliver. Was würde Oliver sagen? Ich weiß, was er sagen würde. Er würde sagen, ich sei eine Tagträumerin und ich solle mir gefälligst nicht dauernd selber im Weg stehen. Nein, er wäre nicht so direkt, er würde sagen,
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