Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieblingsmomente: Roman

Lieblingsmomente: Roman

Titel: Lieblingsmomente: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Popescu
Vom Netzwerk:
sich den Dreitagebart öfter stehen lassen und sich auch nie wieder die Haare kämmen. Der Urlaubslook steht ihm ausgezeichnet. Ich habe sofort einige Favoriten, die ich mit Photoshop noch etwas aufhübsche und dann in einen Ordner mit dem Titel »Bilder für FB« speichere. Einige Fotos, die nur die Gegend und ihre Atmosphäre zeigen, packe ich dazu, und dann noch das Foto, das der Kellner nach dem Besuch beim Italiener von Oliver und mir gemacht hat: Wir grinsen braun gebrannt und glücklich in die Kamera, und ich muss beim Betrachten wieder lächeln. Wir hatten Rotwein getrunken, und an dem Abend hat mir Oliver zum ersten Mal seit langem wieder das Gefühl gegeben, wirklich wichtig für ihn zu sein. Die Hauptrolle zu spielen. Und jetzt will er mich nicht einmal beim Grillen dabeihaben. Ich habe also doch nur eine Statistenrolle.
    Ich brauche etwas Stärkeres als diese Cola.
    Ärgerlicherweise ist kein Bier in den Untiefen unseres Kühlschranks zu finden. Und das an einem Sonntag. Ich könnte mir allerdings am Bahnhof welches kaufen, und Chips und vielleicht noch ein paar Zeitschriften. Außerdem scheint die Sonne. Das sind einfach zu viele Gründe, die dafür sprechen, die Wohnung zu verlassen. Ich zögere kurz, beschließe dann aber, dass ich meine Kamera auch gleich mitnehmen kann. Ich lasse mir die Fotografie nie wieder verbieten. Das habe ich in der Woche am Bodensee auch gelernt.
    Als Erstes gehe ich in den großen Zeitschriftenladen am Bahnhof, und auf der Suche nach der neuen Gala fällt mein Blick auf einen Stapel Gastroführer. Der Untertitel lautet »Stuttgart – einzigartig vielseitig«, und das Logo von kesselfieber.de ist auch zu sehen. Ich nehme das oberste Exemplar in die Hand und habe schon so eine Vorahnung, die sich auch gleich bewahrheitet: ein Gastroführer für Stuttgart, geschrieben von einem gewissen Tristan Wolf. Ungläubig starre ich das kleine Taschenbuch in meiner Hand an. Das ist Tristans Gastroführer, von dem er mir an dem Abend erzählt hat, als wir zusammen in meinem Büro gegessen haben. Ich öffne das Buch vorsichtig und beginne, es durchzublättern, völlig von der Vorstellung gefangen, jetzt Wörter zu lesen, die er geschrieben hat. Hinten sind einige Informationen über den Autor, inklusive Bild. Es muss ein älteres Bild sein, denn seine Haare sind etwas kürzer, er ist glatt rasiert, trägt ein schwarzes Jackett über einem bedruckten T-Shirt und dazu Jeans. Seine Hände hat er etwas unbeholfen in den Hosentaschen vergraben. Er lächelt nur ein bisschen, scheint sich aber wohlzufühlen. Zufrieden mit sich und seinem Werk. Das Foto ist in Schwarz-Weiß aufgenommen, ganz gute Arbeit. Bei dem Modell aber auch keine große Kunst. In meinem Kopf gehe ich einige Versionen des Bildes durch. Wie hätte ich bei ihm das Licht gesetzt, welche Kadrierung gewählt, welche Posen von ihm verlangt? Bei der Vorstellung, ein lustiges Fotoshooting mit ihm zu machen, bei dem er alles tun muss, was ich von ihm verlange, huscht ein Lächeln über mein Gesicht – und mein Herz fühlt sich für den Bruchteil einer Sekunde schwer an. Ich vermisse ihn.
    Dann gehe ich zurück zum Anfang und beginne zu lesen. Schon ab der ersten Zeile bin ich gefesselt. Er schreibt witzig, gibt freche Tipps, sein Schreibstil ist leichtfüßig. Wenn man Tristan kennt, dann erkennt man ihn in jeder Formulierung, in jedem Satz. Ich würde so gerne mehr von ihm lesen. Er hat mir von seinem Manuskript erzählt, aber ich fürchte, dass ich momentan nicht in der Position bin, um danach fragen zu dürfen. Ich erinnere mich noch genau an unsere letzte Begegnung, und dabei zieht sich wieder alles in meinem Inneren zusammen. Er hat mich umarmt und so fest gehalten. Es hat sich so gut angefühlt. Ihn dann loslassen zu müssen hat wehgetan, aber es war richtig und daran hat sich nichts geändert. Ich konzentriere mich wieder auf seinen Gastroführer und folge seinen Sätzen über die Seiten, habe das Gefühl, mit ihm durch Stuttgart zu schlendern. Er empfiehlt nicht einfach nur ein günstiges Lokal an der Ecke, er beschreibt die Umgebung, beschreibt sogar den Weg dorthin so, dass er beinahe interessanter scheint als das eigentliche Ziel. Ihm scheinen Kleinigkeiten wichtig zu sein, so viel Zeit und Liebe nimmt er sich für ihre Beschreibung. So sieht Stuttgart also durch die Augen von Tristan Wolf aus. Es ist wunderschön.
    Und da habe ich eine Idee. Sie ist blöd, sie ist kitschig, sie ist nicht einmal besonders originell,

Weitere Kostenlose Bücher