Lieblingsmomente: Roman
spannend. Man muss schnell reagieren, darf keine Bewegung verpassen, immer auf der Hut sein, nicht ertappt zu werden. Ein lang vergessenes Gefühl macht sich in mir breit. So schmeckt Freiheit.
Spät erst schließe ich die Tür zu unserer Wohnung auf. Es brennt Licht. Oliver ist also schon zu Hause. Ich mache mir keine Hoffnung, dass er mich vielleicht vermisst hat. Ich sage nichts, schließe die Tür, gehe zu meinem Laptop und komme dabei an der offenen Küchentür vorbei. Er kommt in dem Moment gerade heraus, einen dampfenden Teller in der Hand, und gibt mir einen kurzen Kuss auf die Wange.
»Ich habe die Wäsche aus der Maschine geholt und aufgehängt.«
Er strahlt und sieht mich dabei erwartungsvoll an. Er denkt, ich müsse ihm dankbar sein, stehende Ovationen geben, weil er einen einfachen Haushaltshandgriff von Anfang bis Ende beherrscht und durchgezogen hat.
»Wolltet ihr nicht grillen?«
»Nee, das mit dem Aufbau ist doch komplizierter.«
Ich nicke nur, schnappe meinen Laptop und verziehe mich nach draußen auf den Balkon. Die laue Sommernacht ist zu schön, um sie im Inneren der Wohnung zu verbringen. Ich sehe Oliver durch das große Fenster auf der Couch sitzen und sich eine Sendung ansehen, die ich von hier aus nicht identifizieren kann und will. Er isst sein Essen, und später wird er dann irgendwann schlafen gehen. Aber in genau diesem Moment ist es mir egal. Ich lade die Bilder in aller Ruhe auf mein MacBook und betrachte so lange den Himmel. Die Sterne malen ein ganz eigenes Bild ans Firmament, und auch wenn ich es schon so oft gesehen habe, verzaubert es mich jedes Mal aufs Neue. Ich glaube, wenn ich jetzt eine Sternschnuppe sehen würde, wüsste ich gar nicht so genau, was ich mir wünschen soll.
Aufgeregt wie ein kleines Kind betrachte ich meine Schätze auf dem Bildschirm. Fast will ich Oliver rufen und ihm zeigen, wie wunderbar sie doch sind. Aber ich entscheide mich, diesen kleinen Triumph mit mir alleine zu feiern. Ohne Schampus, Musik und fremde Anerkennung. Diese Bilder sind nur für mich, sie sind ein Beweis für mich ganz alleine. Dieses Gefühl kann man von keinem anderen Menschen geschenkt bekommen. Es wächst und platzt in unserem Inneren, und wie ein Konfettiregen breitet es sich dann überall aus. Es bleibt im Inneren liegen, und ein Kichern reicht, um die kleinen Schnipsel wieder aufwirbeln zu lassen. Vor langer Zeit war ich diesem Gefühl sehr oft sehr nahe. Ich habe es fast täglich erlebt. Der Höhepunkt war wohl der gewonnene erste Preis des Fotowettbewerbs und das Jobangebot – für das Foto meiner Großmutter, die immer an mich geglaubt hat und mich schwören hat lassen, immer meinem Herzen zu folgen. Ich weiß nicht genau, wann ich dieses Versprechen gebrochen habe. Danach ist es jedenfalls bergab gegangen. Das Konfetti-Gefühl kam immer seltener, und irgendwann habe ich es nur noch vermisst. Mit dem Alltag wurde dann sogar das Vermissen weniger, und schließlich war es einfach nicht mehr da.
Bis heute. Bis jetzt. Bis hier.
Oliver tritt zu mir auf den Balkon.
»Sind das die Fotos vom Urlaub?«
Ich sehe ihn nicht an, zucke nur mit den Schultern und schüttele dann verneinend den Kopf. Wenn er fragt, was das für Fotos sind, werde ich sie ihm zeigen. Frag mich, du Idiot!
»Kannst du mir die Fotos vielleicht in einen Ordner legen? Ich würde sie mir gerne später in Ruhe ansehen.«
Er fragt nicht. Ich nicke. Es fühlt sich kalt an, und ich will, dass er geht. Schlimmer noch – wenn ich ehrlich bin, will ich, dass Tristan hier ist. Ich will ihm die Fotos zeigen und hören, was er dazu sagt. Er fehlt mir so sehr. Sein Gesicht ist zwar immer wieder kurz da und irgendwie haben wir heute ja sogar den Nachmittag zusammen verbracht, aber ich vermisse seine Stimme, ich vermisse sein Lachen. Ich vermisse ihn. Es gibt diese Menschen, mit denen man sich verbunden fühlt, die trifft man nicht oft im Leben. Und dann will man sie nicht mehr loslassen. Ich wollte Tristan am Palast der Republik nicht loslassen und habe es getan, weil ich dachte, das wäre das Richtige. Jetzt bin ich mir da gar nicht mehr so sicher.
»Danke, Süße. Ich gehe schlafen, ich muss morgen früh raus.«
»Gute Nacht.«
Ein Kuss auf meine Stirn, und dann ist er weg. Stunden später schlafe ich etwas umständlich auf der Couch im Wohnzimmer ein.
Ich habe die Bilder vor mir auf dem Tisch in meinem Büro ausgebreitet. Es sind fünfzehn Stück, nur die besten Fotos. Die Auswahl hat mich die halbe Nacht
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