Liebst du mich wirklich, Raoul
sagte. Es war eine wunderbare Vorstellung, zum Essen ausgeführt zu werden, als wäre man schon erwachsen. Aber sie wurde die Zweifel nicht los, die den Ruf ihrer Mutter Grace Carlow betrafen. Sie umgab ein Geheimnis, und Rhianna spürte, dass sie selbst noch zu jung war, um ernsthafte Antworten auf ihre vielen Fragen zu erhalten. Das würde warten müssen …
Leider hatte Rhianna nicht viel Auswahl in ihrem Kleiderschrank, und so entschied sie sich wohl oder übel für ihre Schuluniform. Sie war das einzige Stück, das man als einigermaßen fein bezeichnen konnte.
Raoul war zur abgemachten Zeit nicht da, und für einen kurzen Augenblick überfiel Rhianna der schreckliche Gedanke, er könnte es sich anders überlegt haben. Doch dann stand er plötzlich vor ihr und lächelte höflich.
„Sie sehen reizend aus, Miss Carlow“, sagte er gestelzt und zwinkerte ihr zu. „Sollen wir gehen?“
In seinem schicken Luxuswagen fuhren sie zum Restaurant, und Rhiannas Mund war vor Aufregung ganz trocken. Dankbar atmete sie auf, als Raoul sofort eine Karaffe Mineralwasser bestellte, nachdem ihnen ein edel gedeckter Tisch zugewiesen wurde.
„Dieses Lokal ist auf Meeresfrüchte spezialisiert“, erklärte er. „Vermutlich hätte ich dich fragen sollen, ob du überhaupt Fisch magst.“
„Ich mag fast alles“, erwiderte sie leise.
„Hast du schon einmal Hummer probiert?“, erkundigte er sich, und Rhianna schüttelte stumm den Kopf. „Gut, den nehmen wir dann!“
Er bestellte gegrillten Lobster mit grünem Salat, geschwenkten Butterkartoffeln und frisch gebackenem Knoblauchbrot. Dazu wurde eine Shrimpsmousse gereicht, ebenso wie eine gekühlte Flasche Chablis. Raoul schenkte einen winzigen Schluck in ein Extraglas und reichte es Rhianna.
„Auf dich!“ Lächelnd prostete er ihr zu. „Und auf deinen Geburtstag.“
Vorsichtig nippte sie an ihrem Wein und fand ihn außerordentlich gut. Zum Nachtisch gab es ein kleines Brombeertörtchen mit Sahnehaube, das ihr feierlich vom Personal an den Tisch gebracht wurde. Der Restaurantchef gratulierte ihr höchstpersönlich. Er sang mit seinen Angestellten ein Lied und verlangte, dass Rhianna die Kerze auf dem Törtchen auspustete und sich etwas wünschte. Sie bekam Applaus von sämtlichen Gästen im Raum.
Auf der Fahrt zurück nach Hause sah Rhianna verträumt aus dem Fenster zum Himmel hinauf und lauschte der stimmungsvollen Klaviermusik im Radio. Auch in dieser Nacht schien der Mond silbrig und hell, und für Rhianna war der Abend einfach nur himmlisch.
Natürlich gab es noch ein bitteres Nachspiel für sie. Allerdings nicht von Tante Kezia, dank des kurzen Gesprächs, das Raoul nach ihrer Rückkehr mit der älteren Dame unter vier Augen geführt hat. Es war Moira Seymour, die Rhianna noch eisiger behandelte als zuvor.
Sogar in der Schule wurde sie gehänselt, weil einige ihrer Klassenkameradinnen von der spektakulären Geburtstagsfeier im Nobelrestaurant erfahren hatten. Offenbar fragte man sich, warum sich ein erwachsener Mann mit einem Teenager abgab. Die anderen Mädchen dichteten ihr eine Schwärmerei für den gut aussehenden Millionär an, bis Rhianna schließlich aus Selbstschutz behauptete, stattdessen in Simon verliebt zu sein. Außerdem war das ja nicht vollständig gelogen.
„Den hübschen Blonden, der jeden Sommer hierherkommt?“, hakte ihre Schulkameradin Lynn nach. „Der lebt doch am oberen Ende im Dorf? Ich dachte, er wäre mit Carrie Seymour zusammen.“
„Nicht die ganze Zeit über“, rief Rhianna über die Schulter und ließ die anderen Mädchen stehen.
„Das stört sie doch auch gar nicht“, hörte sie jemanden hinter sich behaupten. „Kommt ganz nach ihrer Mutter, würde ich sagen.“
Rhianna hatte nicht den Mut gehabt, sich umzudrehen und das Mädchen zur Rede zu stellen.
Energisch schüttelte sie jetzt die trüben Gedanken ab und glitt von ihrem Stein hinunter, um wieder hinauf zum Haus zu gehen.
Wenigstens habe ich zehn Jahre später keine Schwierigkeiten mehr, passende Kleidung zu finden, dachte Rhianna, als sie sich am nächsten Abend für das Essen mit Raoul zurechtmachte.
Ihr Kleid war aus dunkelgrüner Seide gearbeitet und unterstrich die Farbe ihrer Augen. Sie sah umwerfend gut aus, nur leider fühlte sie sich nicht so.
Unten im Salon hatte sich die Familie bereits versammelt, um einen Drink zu nehmen, bevor sie in diversen Taxis zum Polkernick Arms gefahren wurden. Moira Seymour ignorierte Rhianna konsequent, aber ihr Mann
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