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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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Befürchtungen der Fisch-Mammy keineswegs grundlos waren. Eine alleinstehende Frau zieht in der Tat die Aufmerksamkeit der Männer an, die ihre Angreifbarkeit wittern. Es beunruhigte mich, mir vorzustellen, wer alles versuchen könnte, Saffias Situation auszunutzen. Einmal fand ich den Tanzgockel da oben vor, der vorgeblich sein Mitgefühl aussprechen wollte. Ich saß ihm gegenüber und funkelte ihn an, bis er das Weite suchte.
    Allerdings war es interessant, das veränderte Verhalten der Tante mir gegenüber zu beobachten, jetzt wo es ihre Aufgabe geworden war, einen potenziellen Beschützer ihrer Nichte zu ermutigen. Wie ich schon andeutete, war sie die Sorte Frau, die sich blitzschnell auf jede Veränderung des Status quo einstellte. Eines Abends begegnete ich ihr, als sie gerade von der Moschee heimkehrte. Ich lüftete den Hut und begrüßte sie in meinem ehrerbietigsten Ton. »Guten Abend, Tantchen.« Sie blieb abrupt stehen, und sobald sie sich vergewissert hatte, dass ich sie keineswegs verspottete, erschien auf ihrem Gesicht ein kleines Grinsen der Befriedigung darüber, so angesprochen zu werden. Es belustigte mich, sie als meine neue Verbündete betrachten zu dürfen.
    Die Tante war es auch, die mich auf die Tatsache aufmerksam machte, dass sie Schwierigkeiten damit hatten, die Miete aufzubringen. Julius war viel zu jung gewesen, um eine Pension zu hinterlassen. Durch eigene Anstrengungen, und indem ich einen gewissen Druck auf den Dekan ausübte, der dem zuständigen Komitee angehörte, verschaffte ich Saffia ein kleines Stipendium für die Katalogisierung der Pflanzen, die auf dem Universitätsgelände wuchsen. Nicht so viel, dass sie unbegrenzt damit hätte rechnen können. Das Stipendium würde ihren Lebensunterhalt für genau ein Jahr sichern.
    Während dieser Monate arbeitete ich auf ein einziges Ziel hin. Ich investierte meine ganze Energie in die Recherchen für einen Artikel über die Bildung des Native Affairs Department. Wenn ich zuvor lediglich ein gewissenhafter Akademiker gewesen war, wurde ich jetzt zum Besessenen. Sie ist erstaunlich, die Wirkung der Hoffnung. Ich arbeitete jetzt auf eine Zukunft hin – eine Zukunft, die Saffia einschloss.
    Vormittags erledigte ich meine Korrespondenz und bereitete mich auf meine Veranstaltungen vor. Damit war ich bis zur Mittagszeit beschäftigt. Meine Mittagessen nahm ich in der Mensa ein. Anschließend ging ich in die Bibliothek, arbeitete mich durch die gebundenen Protokolle des Native Affairs Department und machte mir eifrig Notizen. Gedanken an Saffia drängten sich zwischen mich und die Briefe des Regierungsagenten Thomas George Lawson, seinen angsteinflößenden Protestantismus und seine Loyalität zur Krone. Gegen vier Uhr beschloss ich meine Reisen mit Lawson in das Landesinnere zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Häuptlingen, sammelte meine Papiere zusammen und hinterlegte sie in meinem Arbeitszimmer.
    Der Zustand nervöser Erwartung, in dem ich meine Tage verbrachte, erreichte gegen halb fünf seinen Höhepunkt, wenn ich zu Saffia fuhr. An den meisten Tagen hatte ich dazu einen konkreten Anlass, denn wie ich, glaube ich, schon sagte, versuchte ich, mich auf so vielfältige Weise wie möglich nützlich zu machen. Ich verhandelte mit der Universitätsverwaltung, gab Saffia finanzielle Ratschläge und kümmerte mich darüber hinaus um viele andere kleinere Haushaltsangelegenheiten. In den Monaten nach Julius’ Tod sah ich, wie das Gewicht von Saffias Körper abfiel. Sah, wie die Falten beiderseits des Mundes sich weigerten, sich zu glätten. Erkannte an ihrem schweifenden Blick ihre Unfähigkeit, sich zu konzentrieren. Dem oberflächlichen, bedeutungslosen Lächeln, mit dem sie mir dankte, entnahm ich, wie sehr sie litt. Ich wusste aber auch, dass sie überleben würde. Denn letzten Endes tun das alle.
    Ausharren. Warten. Geduldig sein.
    Eines Abends gingen wir im Garten spazieren. Es war meine Idee gewesen. Saffia sah so aus, als wollte sie ablehnen, dann aber änderte sie ihre Meinung und ging mir voraus die Treppe hinunter. Es war noch hell, die dicken Regenwolken hatten sich gelichtet, es war sogar etwas Blau am Himmel. Der Garten sah etwas vernachlässigt aus. Die Harmattan-Lilien waren gebeugt und geknickt, wie Soldaten nach einer Schlacht, viele lagen wirr durcheinander auf dem Boden, ihre einst schönen Köpfe waren verrunzelt, ihre Blütenblätter dunkel und zerrissen. Ich erinnere mich an den Anlass, weil es möglicherweise

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