Lied aus der Vergangenheit
mit einer Entschuldigung und steht auf. Er und Abass gehen den abschüssigen Weg zurück zum Haus. Der Junge schweigt, hält in der Dunkelheit mit Kai Schritt.
Es kommt, das weiß Kai, es dauert nicht mehr lang. Jedes Mal, wenn jemand eine Bemerkung, wie Yeama eben, fallen lässt, rückt der Tag ein Stückchen näher. Er spürt förmlich, wie es im Kopf des Jungen arbeitet, wie sein Gehirn versucht, aus Gefühlen Gedanken zu formen, Gedanken, die ihrerseits zu den Fragen führen werden, Fragen, die sich noch nicht herauskristallisiert haben.
Eines Tages.
Drei Uhr früh. Kai lauscht Abass’ röchelnder Atmung. Das Kind wollte wieder einmal in seinem Bett schlafen. Jetzt liegt es, ein Bein angewinkelt, mitten auf dem Bett ausgebreitet. Kai starrt in die Dunkelheit, schlüpft dann aus dem Bett und geht in den Hof.
Es war kein Traum von der Brücke, was Kai geweckt hat, oder überhaupt ein Traum. Es war eine Erinnerung, ein plötzliches Eindringen von bewusstem Denken in seine Welt des Schlafs. Das letzte Mal, dass er Abass’ Vater gesehen hat, auf der Pritsche eines Pick-ups sitzend, auf dem Weg zu seiner Kaserne im Osten. Nach Hause kam er zweimal im Monat. Gerade als der Pick-up losfahren wollte, war er heruntergesprungen, um Kai die Hand zu schütteln, und wieder aufgestiegen. Er nahm es mit seinem Barett immer sehr genau; Kai sah, wie er es, während der Pick-up an Geschwindigkeit gewann, im Fahrtwind zurechtrückte und wieder zurechtrückte, in seinem Gesicht der gewohnte Ausdruck friedfertigen Erstaunens. In einer anderen Welt wäre er als Postbote oder Bauer vollauf zufrieden gewesen.
Zwei Wochen später drangen Rebellen in die Stadt ein, in der er stationiert war. Vier Tage lang lag sein Leichnam, eine Masse aus verschmortem Fleisch und Gummi, auf einer Verkehrsinsel, von der ihn niemand zu bergen wagte.
Vielleicht, denkt Kai, sollte er mit seiner Cousine reden. Ihr sagen, es wäre langsam an der Zeit, Abass zu erzählen, unter welchen Umständen sein Vater gestorben ist. Er hängt kurz der Frage nach. Seine Gedanken gehen dann zu seiner Cousine über, zu den Pfingstlern, denen sie Einlass ins Haus gewährt hat, der Distanz, die sie selbst ihrem eigenen Sohn gegenüber wahrt. Abass verzehrt sich nach ihr, klammert sich in ihrer Abwesenheit an Kai. Es ist nicht Abass, den sie beschützt. Aber wer ist schon Kai, dass er sie verurteilen dürfte? Schließlich hatte er Nenebah nie von der Brücke erzählt. Oder davon, was mit der jungen Krankenschwester, Balia, geschehen war. Diese Dinge hatte er Nenebah verheimlicht.
Eines Nachts lag er schlaflos neben ihr im Bett, wusste, dass auch sie wach war. Er hörte sie aufseufzen, als sie sich halb zu ihm herumdrehte und ihm die Hand auf die Brust legte. Sie bewegte die Hand abwärts über seinen Brustkorb, ihre Fingerspitzen streiften seine Brustwarzen, die daraufhin instinktiv fest wurden. Dann waren ihre Finger auf seinem Bauch, dessen Muskeln sich unter ihrer Berührung fast schmerzhaft anspannten. Kai hielt den Atem an. Er zitterte, hielt sich an der Angespanntheit seiner Bauchmuskeln fest, lenkte seine ganze geistige Energie auf ihre Hand um und spürte, wie er übermächtig auf deren Vordringen ansprach, sodass er, als ihre Finger sich sanft in sein Schamhaar gruben, schon stocksteif erregt war. Ihre Finger fanden seinen Schwanz und schlossen sich darum. Er atmete aus. Entspannte sich einen Moment lang. Und es war aus. Er versuchte, die Kontrolle zurückzugewinnen, seinen Geist wieder an seinen Körper, an ihre Hand zu koppeln. Doch es war unmöglich, die Bilder drängten sich in sein Bewusstsein, kämpften um die Kontrolle, quetschten die Gegenwart hinaus. Selbst als sie die Hand durch den Mund ersetzte, spürte er lediglich, wie sich ihre Zunge an seinem Erschlafftsein abarbeitete. Die Ganzheit seiner selbst ruhte fötal in ihrem Mund, ein vollkommen neues Gefühl. Schließlich kam sie wieder herauf, beugte sich über ihn und küsste ihn auf den Mund. Sie sagten beide nichts. Sie schmiegte sich in seine Achselhöhle und schlief ein. Es stand zwischen ihnen damals noch so gut, dass derlei möglich war.
Einen Monat später kündigte Tejani seine Abreise an. Sie hatten schon viele Male darüber diskutiert, Tejani war von Anfang an der Entschlossene von ihnen beiden gewesen. Kai hatte seinen Freund zum Flughafen begleitet, mit ihm Faust an Faust geballt und fest versprochen nachzukommen. Doch er war nicht nachgekommen.
Ganz in der Nähe stimmt ein Hund in den
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