Lied aus der Vergangenheit
in Raserei.
Und plötzlich verlösche ich.
Es kam der Zeitpunkt, da ich selbst auf Saffia eifersüchtig wurde, auf das, was sie in sich zurückhielt und nicht teilte. Frustriert und ungestillt, verwandelte sich meine Eifersucht in Zorn, eine niedere, würdelose Wut. Ich wünschte, sie zu zerbrechen. Während der Mahlzeiten beobachtete ich sie, wie sie ihr Essen kaute, studierte die Bewegungen ihres Kiefers, die Weise, wie sie schluckte. Für eine Weile wurde das zu einer regelrechten kleineren Obsession. Ich beobachtete sie heimlich, wenn sie durch das Haus ging, wenn sie ein Buch las, nähte oder einen Einkaufszettel machte. Wenn es je vorkam, dass sie sich umdrehte und mich ihr zuschauen sah, lächelte sie mir zu, dieses oberflächliche Lächeln, das mir inzwischen so vertraut war. Und ich erwiderte das Lächeln. Auch zu anderen Gelegenheiten beobachtete ich sie. Früher hatte ich mich vielleicht bemüht, ihr mit List und Tücke an diesem oder jenem Ort über den Weg zu laufen, ihre Pläne auszukundschaften und dafür zu sorgen, dass sie mit den meinigen zusammenfielen. Jetzt versuchte ich, erfolglos, sie bei kleinen Lügen und Ausflüchten zu ertappen. Ich las selbst in die harmlosesten Äußerungen etwas hinein. Ich durchsuchte ihre Papiere und Habseligkeiten. Ich wusste nicht, wonach ich suchte. Es gab überhaupt nichts, dessen ich sie verdächtigt hätte, nur: dass ich ihr gleichgültig war. Und während alldem führte sie den Haushalt, plante sie meine Mahlzeiten, ging jeder häuslichen Pflicht nach; sie hörte mir zu und antwortete sinngemäß. Das machte es gerade so entsetzlich.
Ein Dienstag. Ich habe den ganzen Vormittag in meinem Zimmer gearbeitet. Der kurze Fußweg zum Arbeitsplatz war einer der Vorteile, die es mit sich brachte, auf dem Campus zu wohnen. Wenn ich zwischen meinem Arbeitszimmer und der Bibliothek hin- oder herging, stieg ich manchmal die hundert Meter den Hügel hinauf. Ob Saffia zu Hause war, konnte ich daran erkennen, dass das Auto draußen parkte oder eben nicht. Dank meiner kürzlich erfolgten Beförderung war ich immer seltener in den Archiven anzutreffen. Ich lehrte weiterhin, und ich forschte und schrieb weiterhin, doch jetzt wurde ein größerer Teil meiner Arbeitszeit von administrativen Pflichten beansprucht. Ich klagte nicht. Um ehrlich zu sein, kam mir dies entgegen. Simple, überschaubare und alles in allem erreichbare Ziele. Ich blieb mit den Entwicklungen in der akademischen Welt auf dem Laufenden; über die Jahre hinweg veröffentlichte ich eine Reihe von Aufsätzen. Ein bestimmter, über frühe Währungssysteme, erhielt sehr positive Rezensionen und trug letztlich zu meiner Professur bei. Doch das sollte alles erst noch kommen.
Der Wagen stand in der Auffahrt. Ich wollte gerade umkehren, als ich Saffia, um das Haar ihr unverwechselbares orangefarbenes Kopftuch gewickelt, das Haus verlassen sah. Sie stieg nicht ins Auto ein, wie man hätte erwarten können. Sie schlug vielmehr den entgegengesetzten Weg ein, der sie durch den Campus führte. Nach kurzem Zögern folgte ich ihr. Ich folgte ihr bis zum Osttor des Campus. Dieser Eingang wurde nur selten benutzt, aus dem einfachen Grund, dass es von dort zu den Hauptgebäuden der Universität ein ganzes Stück zu laufen war. Andererseits hatte er den Vorzug, direkt in eine Zeile von Häusern und Ladengeschäften zu münden, eines der alten kreolischen Dörfer. Es war eine alternative Möglichkeit, ein öffentliches Beförderungsmittel zu finden. Saffia winkte ein Taxi heran, stieg ein, und der Wagen fuhr los.
Am Abend fragte ich sie während des Essens, wie ihr Tag gewesen sei. Mir fiel auf, dass sie nichts davon erzählte, den Campus verlassen zu haben.
Am nächsten Tag rief ich Babagaleh zu mir. Er war mittlerweile bei uns. Direkt aus dem Dorf, von der Tante geschickt, aber insgesamt ein weitaus zugänglicherer Mensch. Für ihn würde es viel einfacher sein, unbemerkt zu bleiben. Ihn zu beauftragen barg allerdings ein Risiko. Er war einer von Saffias Leuten, seine Loyalität zu mir war noch nicht auf die Probe gestellt worden. Ich weiß nicht mehr wie, aber ich ließ es so klingen, als geschähe das Ganze ausschließlich in Saffias Interesse. Eine Andeutung, ich wäre um ihre Gesundheit besorgt.
Babagaleh erledigte seine Aufgabe gut. An den ersten zwei Tagen ging sie lediglich ihren gewohnten Besorgungen nach. Babagaleh war – ich sollte besser sagen: ist – ein Mann weniger Worte. Zu seinen besseren Eigenschaften
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