Lied aus der Vergangenheit
erklärte er Abass, war wie ein Bauer; die Patienten waren Felder, die bewässert, oder Kühe, die gemolken werden wollten. Sie schauten in Adrians Wohnung vorbei und fanden sie leer vor. Kai nahm zur Kenntnis, dass einzelne Dinge umgeräumt, Bücher aus ihren Regalen herausgeholt worden waren, zwei Kaffeebecher herumstanden.
Auf der Straße ist wenig los, nicht ein einziger Unfall, und so kommen sie gut voran. Auf der Straße zum Wasserfall sind Reifenspuren zu sehen. Zwei britische Militärbeobachter, eine Frau und ein Mann, die auf den Felsen picknicken, bieten einer Gruppe von Kindern spannende Unterhaltung. Kai hebt eine Hand zum Gruß, aber das Paar erwidert ihn nicht und schaut glatt durch ihn hindurch. Und so entschließt sich Kai, obwohl er die beiden leicht von den kleinen Gaffern befreien könnte, das nicht zu tun.
Abass entfernt sich, um in den Spalten zwischen den Felsen zu angeln. Kai zieht sich bis auf die Shorts aus und taucht ins kühle Wasser. Doch das Schwimmen trägt kaum dazu bei, seine Rastlosigkeit zu lindern. Wie die zwei Briten wäre er lieber allein. Einmal, als er mit Nenebah hierhergekommen war, hatte eine Gruppe von ausländischen Ingenieuren sie überfallen, die vom Staudamm aus einen Ausflug unternahmen. Tejani war weggefahren, um sich die Stadt anzusehen, er und sie waren kurz davor gewesen, miteinander zu schlafen, als die Delegation in Kakishorts und Sandalen sie unterbrochen hatte. Als Tejani zurückkam, waren die Männer schon wieder verschwunden gewesen. Er hatte geglaubt, sie würden ihn verscheißern.
Ist Nenebah je wieder hierhergekommen?
Er klettert aus dem Wasser und legt sich auf die Felsen. Abass steht Schatten werfend über ihm, einen Flohkrebs in den hohl aneinandergehaltenen Händen. Die Europäer stehen auf und gehen. Noch einmal ins Wasser, sagt Kai zu Abass, und dann ist es Zeit zu gehen.
An der Tankstelle und der Schlange von Autos vorbei fahren sie in die Stadt hinein. Auf dem Marktplatz parkt Kai den Mercedes neben einer Reihe von Ständen und steigt aus. Abass hat inzwischen Hunger und kann sich von den Imbissständen nicht losreißen. Sie verlangen Hühnchen und warten, während der Standbesitzer es über glühender Holzkohle grillt. Kai kauft an einem anderen Stand Brot, und sie essen im Stehen, gegen den Wagen gelehnt. Anschließend setzt er sich wieder ans Steuer, und sie fahren im Schritttempo die Route entlang, die er nur ein Mal, in einer sechs Jahre zurückliegenden Nacht, zu Fuß gegangen ist.
»Wo fahren wir hin?«, fragt Abass.
»Ich suche jemanden, den ich vor langer Zeit hier kennengelernt habe.«
»Meinst du, er wohnt noch hier?«
»Ich weiß es nicht«, antwortet Kai.
Abass kurbelt sein Fenster herunter und summt. Kai versucht, die Route zu erspüren, sich an dem vage erinnerten Gespräch jener Nacht zu orientieren, den Links- und Rechtskehren. Der Verlauf der Straßen könnte sich geändert haben. Damals waren sie von Soldaten begleitet worden, die sie zu ihrer Überraschung direkt bis an die Haustür geführt hatten. Er biegt nach rechts ab, fährt eine steile unbefestigte Straße hinab. Vor einem niedrigen bunkerartigen Gebäude hält er, befiehlt Abass zu warten, zieht sich das Hemd über Mund und Nase und drückt die Tür auf. Drinnen sieht er die alten Mensatische, zerbrochenes Glas und eine verbrannte Matratze. Ansonsten keine Spur des Labors, das sich dort einst befunden hatte.
Irgendwo in dieser Stadt hat Kai einen Vetter. Auf dem Marktplatz hält er wieder bei den Essensständen und fragt nach dem Weg zur Straße, in der die Familie wohnt. Minuten später erreichen sie das Haus. Jemand wird nach Ishmail geschickt, und er erscheint, lächelnd und sich das Hemd zuknöpfend, und boxt gegen Kais und dann gegen Abass’ Faust. Sie hocken sich mit dem Rücken gegen die Wand hin. Zuletzt haben sie sich mehrere Jahre vor dem Krieg gesehen, bevor die Stadt, in der Kai lebte, zu einer Insel innerhalb des Landes wurde.
»Lang her, mein Freund«, sagt Ishmail. »Was führt dich zu mir?«
Kai erklärt ihm, dass er auf der Suche nach Dr. Bangura ist, dem Lassafieber-Spezialisten. Sein Vetter nickt erst, schüttelt dann den Kopf und schnalzt mit der Zunge. Der Doktor ist gestorben. Nicht der Krieg, ein Nadelstich im Finger. Er infizierte sich mit der Krankheit, die er erforschte.
Kai schweigt, er erinnert sich an den Arzt, der bis tief in die Nacht fleißig an seinen Proben arbeitete, geschützt lediglich durch Haushaltsgummihandschuhe,
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