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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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Stelle war auf sechs Wochen ausgeschrieben. Aber es kam anders, seine Bewerbung wurde abgelehnt, und auch damit hatte er Lisa nicht behelligt. Dann, eines Freitagabends, eine leise Telefonstimme aus Rom. Der erfolgreiche Bewerber war erkrankt. Ob Adrian kurzfristig abreisen könne?
    Warum da hin?, hatte Lisa ihn gefragt, als er es ihr endlich gesagt hatte. Sie hatte weder erfreut noch betrübt gewirkt, nur schlicht verblüfft. Ein Bürgerkrieg hatte das Land vergangenes Jahr in die Nachrichten gebracht. Mehrmals im Laufe des Gesprächs hatte Lisa aus dem Namen des Landes »Sri Lanka« gemacht, wo schließlich auch ein Bürgerkrieg wütete – wenngleich auf einem völlig anderen Kontinent.
    Das Team war die ganze Zeit unter sich geblieben. Unter einer ruhigen Oberfläche, auf der die Menschen auf den Märkten einkauften und ihrer Arbeit nachgingen, brodelte die Gewalt, um von Zeit zu Zeit in den ländlichen Gebieten offen auszubrechen. Von acht Uhr abends bis acht Uhr morgens herrschte Ausgangssperre. Niemand verließ die Hauptstadt. Adrian genoss den Kameradschaftsgeist, die Ahnung von ferner Gefahr. Nach seiner Rückkehr nach England hatte er sich um einen weiteren Auslandsaufenthalt beworben und war angenommen worden. Als er Lisa davon erzählte, wusste er durch seine Worte den Eindruck zu erwecken, als hätte man um seine Rückkehr ersucht. Sie war nicht glücklich gewesen, andererseits hätte man schon seit mehreren Jahren nicht behaupten können, sie sei glücklich gewesen.
    Beim zweiten Mal war das Flugzeug ausgebucht. Gruppen von Europäern unterhielten sich vor den Toiletten, auf den Gängen, über Rückenlehnen hinweg. Die Afrikaner blieben größtenteils sitzen. Adrian kannte niemanden, aber ein, zwei von ihnen erkundigten sich immerhin nach seiner Branche. Oder, genauer gesagt, danach, für welche Organisation er arbeitete. Adrians Bestallungsschreiben enthielt nicht viel mehr als den Namen eines Krankenhauses und die Information, selbiges habe einen klinischen Psychologen angefordert. Die Verwaltungschefin, eine Frau Mitte vierzig mit einem Dutt, aus dem die ungebärdigen Haare in spitzen Winkeln hervorstanden, war neu auf dem Posten und schien auf seine Ankunft nicht gefasst gewesen zu sein. Ihre kurz angebundene Art vermittelte nicht so sehr Bedauern über ihr eigenes Unvorbereitetsein als vielmehr den Eindruck, dass er, indem er gerade jetzt eintraf, eher Ungelegenheiten verursachte.
    Warum?, hatte Lisa ihn gefragt. Warum gerade dieses Land? Er hatte die Achseln gezuckt und ihr erklärt, es habe nichts anderes zur Auswahl gestanden. Und das war ein Teil der Wahrheit. Die eigentliche Wahrheit war, dass er den Namen dieses Landes schon immer gekannt hatte, dass es ihm nie passiert war, es mit einem mehrere Tausend Meilen davon entfernten Inselstaat zu verwechseln. Als vor Jahren das Land ein paar Wochen lang in den Nachrichten gewesen war, hatte er ein kleines bisschen mehr als die meisten darüber gewusst – zumindest wusste er, wo es lag. Sierra Leone, das Land, in dem seine Mutter beinah zur Welt gekommen war.
    Fünf nach halb zehn. Er muss jetzt wirklich los. Der Vogel trinkt jetzt nicht mehr, sondern sitzt auf dem Scheitel eines Kringels von NATO -Draht. Adrian trägt den Teller, den er als Palette benutzt hat, zur Spüle, hält ihn unter den Hahn, betrachtet die Farben, die ineinander verlaufen. Er lässt den Teller zum Trocknen umgekehrt auf dem Abtropfbrett liegen und geht durch die Wohnung, schaltet hier und da Lichter aus.
    Auf dem Weg hinaus nimmt er mehrere Fachbücher aus dem Regal, klemmt sie sich unter den Arm. Er tritt hinaus, in die Hitze und das Licht, zieht die Tür sorgfältig hinter sich zu, dreht den Schlüssel im kopfstehenden Schloss herum und steckt ihn ein.

8
    Adrian und Elias Cole sehen sich ein Mal pro Woche, immer um die gleiche Uhrzeit. Um sie herum ist das Krankenhaus in ständiger Bewegung, Tag und Nacht. Adrian stellt fest, dass er sich, wenn er seine Notizen ins Reine schreibt, bewusst an Wochentag und Datum erinnern, vom Augenblick seiner Ankunft nach vorn zählen muss. Selbst den Monat vergisst er. In England hätten die Tage mittlerweile angefangen, silbrige Finger zögernd in jede Richtung auszustrecken. Hier entziehen sich ihm die Erscheinungsformen des Himmels. Abendrot, Schönwetterbot’; Morgenrot, schlecht Wetter droht . Aber was soll man von einem violetten Sonnenuntergang halten? Oder einer weißen Abendsonne? Das Einzige, was er mit Sicherheit sagen kann,

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