Lied aus der Vergangenheit
ist, dass es heißer wird. Anstatt sich an die Hitze zu gewöhnen, empfindet er sie als immer quälender.
Adrian hat noch immer die Angewohnheit, zu jeder Gesprächssitzung etwas mitzubringen. Einmal war es ein Roman, Huxleys Narrenreigen, aus der Sammlung in seiner Wohnung. Eine am Straßenrand gekaufte Zeitung, zwei dünne Blätter, dicht bedruckt mit verschmierten Zeilen. Ein Radio. Er hat vergessen, wie der alte Mann zu Musik steht. Nach einiger Zeit nimmt er es wieder mit.
Es gibt Tage, an denen er ins Ministerium muss, um seine Papiere in Ordnung zu bringen. Die Arbeitsbehörde befindet sich im sechsten Stock eines Gebäudes ohne Strom und folglich ohne funktionierenden Fahrstuhl. Bislang hat es ihn mehrere Besuche an verschiedenen Tagen gekostet, die richtigen Formulare zu bekommen, in Erfahrung zu bringen, wer sie bearbeiten wird. Der fragliche Mann besitzt einen riesigen blanken kahlen Kopf, ist immer in einen dunkelblauen Safarianzug gekleidet und nie in seinem Büro anzutreffen. Oft findet Adrian ihn auf dem Korridor sitzend, wo er mit anderen seiner Art plaudert, Streichhölzer oder Kolanüsse kaut und zuschaut, wie Leute von Adrians Art kommen und gehen.
Am Donnerstag kommt Adrian erschöpft und dennoch voll nervöser Energie ins Krankenhaus zurück. Er setzt sich ans Bett des alten Mannes. Elias Cole wendet den Kopf und betrachtet ihn, sagt aber nichts. Gemeinsam bewohnen sie die amniotische Stille des Zimmers, lautlos bis auf die Atmung des alten Mannes, die gedämpften Geräusche von draußen.
Seine Privatklienten in England – in dem Moment, in dem sie das Zimmer verließen, hörten sie auf zu existieren. Er ließ es nicht zu, dass deren Leben in seines überfloss.
Hier ist es anders. Ab dem Moment, in dem er das Zimmer des alten Mannes betritt, ist es sein, Adrians, Leben, das entrückt und irreal wirkt. Umso mehr sein Leben in England.
Die Examina hatten begonnen. Auf dem Campus war es ruhig. Hinter den Fenstern Reihen von Studenten, die Köpfe gebeugt, gekleidet in die vorschriftsmäßigen schwarzen Hosen oder Röcke und weißen Hemden. Wie die übrigen Mitglieder des Lehrkörpers auch, führte ich turnusweise Aufsicht. Ich genoss den Frieden, indem ich die Gänge abschritt, zusätzliches Schreibpapier aushändigte, das Verstreichen einer weiteren Stunde meldete.
In diesen Perioden erzwungenen Müßiggangs dachte ich oft an Saffia. Die glatte Maske ihrer ruhenden Schönheit. Die rasche Abfolge von Mienen, während sie einer Geschichte lauschte – zu solchen Gelegenheiten besaß ihr Gesicht eine außergewöhnliche Beweglichkeit. Sie neigte nicht viel zum Reden, eine Zuhörerin von Natur und von Eheleben aus. Julius und Saffia waren wie Sonne und Mond. Alles drehte sich um Julius, jedenfalls tat er so, als wäre es so. Man wurde in seine Umlaufbahn gezogen. Aber Saffia war der Mond, strahlte ihre eigene klare magnetische Energie aus. Sie war diejenige, der alle unsere Geschichten galten.
Obwohl, wenn Saffia etwas zu sagen hatte, dann hielt sie mit ihrer Meinung auch nicht hinterm Berg, was eine bei einer Frau immerhin so ungewöhnliche Eigenschaft war, dass ich daran nicht gewöhnt war. Einmal tadelte sie mich wegen meiner Apathie. Es geschah während eines ihrer Sonntagabendessen. Wir diskutierten gerade über den Preis von Nahrungsmitteln, von Reis. Es war ein Thema, über das ich nicht viel wusste, aber Saffia war voll von mitreißenden Ansichten. Sie fühlte sich mit den Bauern verbunden, wissen Sie. Ich war offenbar zu langsam mit meiner Reaktion, denn sie schalt mich aus. Ich sei zu bequem, sagte sie, wie ein Kater, der sein sicheres Plätzchen am Feuer hat.
Eine verheiratete Frau. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, frage ich mich, ob nicht genau darin die Antwort lag. Es gab ihr eine Selbstsicherheit, die anderen Frauen abging oder, besser gesagt: die sie »sich nicht leisten konnten«. Zu jener Zeit waren Frauen weit eher bereit zu geben, was von ihnen erwartet wurde. Auf Saffia schien das weniger zuzutreffen. Julius gab ihr alles. An diesen Abenden, die wir – Ade, Kekura und ich – in ihrem Haus verbrachten, brauchte sie nichts von uns, und dadurch zog es uns nur umso mehr zu ihr hin, und wir wetteiferten miteinander wie dressierte Äffchen.
In diesen Tagen, in den Prüfungsräumen, ließ ich unsere Gespräche wie eine Endlosschleife in meinem Geist ablaufen. Ich ließ meinen letzten Besuch, als sie mich fotografiert hatte, in seiner Gänze Revue passieren, fügte hier und da
Weitere Kostenlose Bücher