Lied aus der Vergangenheit
Nenebahs Ohr und flüsterte: »Ich liebe Sex.« Ihr leises Prusten und Kichern, als sie ihm mit dem Ellbogen in die Rippen stieß.
»Iliocostalis, Longissimus, Spinalis«, rezitierte Tejani. »Und ich hab das übrigens gehört, ihr zwei.«
Kai sitzt jetzt den beiden gegenüber. Hinter ihnen der Himmel. Schaut zu, wie Tejanis Gesicht in Nenebahs übergeht und wieder zurück, bis er nicht mehr eins vom anderen unterscheiden kann. Eine Wolke zieht an der Sonne vorbei, die Schatten auf ihren Gesichtern löschen ihre Züge aus.
Eine andere Zeit. Ob davor oder danach, weiß er nicht mehr. Sie beide allein, er liegt auf dem Rücken mit dem Kopf auf ihrem Schoß, kostet die Wärme und den Duft von ihr und ihrem gerade ausgeklungenen Liebesspiel aus, starrt auf eine aufgerichtete Brustwarze. »Nenebah«, sagt er. Und sie lehnt sich zurück, auf die Hände gestützt, legt den Kopf schief, um ihn besser sehen zu können, und fragt: »Warum nennst du mich so? Das tut sonst niemand.« Und er erwidert: »Weil es dein Name ist. Nenebah. Das ist doch dein Name, oder? Oder verwechsle ich dich gerade mit einer anderen?« Und sie schnappt sich ein T-Shirt und schlägt ihn damit. Und als er den Mund aufmacht, um lauter über seinen eigenen Witz lachen zu können, stopft sie das T-Shirt hinein. Es schmeckt nach ihr.
Er klopft einmal prüfend auf den fertigen Gipsverband, klingelt nach den Stationshelfern. Später, im Chirurgenzimmer, schreibt er den OP -Bericht. In der Notaufnahme gibt’s noch nichts für ihn. Später Vormittag, und der Personalraum ist voll. Vor ungefähr einem Jahr hatte jemand ein Miniaturkrocketspiel gekauft, und die Sanitäter verbrachten manchmal ihre Pausen damit, dass sie Kugeln übers Linoleum schlugen. Inzwischen ist das Minikrocket durch ein Miniboulespiel verdrängt worden, obwohl die Kugeln dazu neigen, zu schlittern und zu springen. Er ist weder in der Stimmung für Boule noch für Gespräche. Er geht am Fenster vorbei zu Adrians Wohnung und schließt auf. Es ist niemand da. In der Küche setzt er den Kessel auf den Herd und wartet darauf, dass das Wasser kocht. Draußen hängt ein Honigsauger kopfunter an der Tränke und beugt den Hals hoch, um an das Röhrchen heranzukommen. Kai holt einen Kunststoffbehälter mit Kaffeeweißer und die Schachtel Zuckerwürfel aus dem Kühlschrank, rührt erst vom einen, dann vom anderen in seine Tasse und geht damit ins Wohnzimmer. Er isst selten vor Feierabend.
Und heute ein weiterer Brief von Tejani, der zweite in wenigen Tagen. Er hat den ersten noch gar nicht beantwortet, allerdings mehrere Fassungen im Kopf entworfen. Das Timing des Eintreffens der Briefe geht auf die Unzuverlässigkeit des Postdienstes zurück, die Absendedaten liegen zwei Wochen auseinander. Er breitet beide auf dem Couchtisch aus, holt sich aus Adrians Vorrat einen Stift und Papier und setzt sich hin. In seinem ersten Brief schreibt Tejani, er warte – mit gedämpfter Hoffnung – auf das Ergebnis seiner ersten Zulassungsprüfung. Der zweite Brief ist viel kürzer.
Tja, Kumpel, ich hab’s geschafft! Aber verdammt, ich wollte, Du wärst hier gewesen. Gegen Ende musste ich ein paar Nächte durchpauken. Erinnerst Du Dich, wie wir einmal drei in einer einzigen Woche durchgemacht haben, bis uns die Kerzen ausgegangen sind? Wir haben uns in Mos Zimmer geschlichen und seine Taschenlampe mitgenommen und sie am nächsten Morgen wieder in den Schrank zurückgelegt. Konnte sich gar nicht erklären, warum das Ding keinen Saft mehr hatte. Und das Palaver vor dem Rektorat, als wir da hinmarschiert sind, um die Petition abzugeben. Das waren noch Zeiten, ich hab Helena davon erzählt. Sie kann das nachvollziehen, weil sie aus Weißrussland stammt. Aber ich sag Dir, Du solltest hier sein. Du hast die nötige Qualifikation, und die suchen hier händeringend nach Leuten wie Du und ich, Mann. Ich kann Dir bei allem Nötigen helfen, aber die Agentur kümmert sich sowieso um alles. Mach Dir keinen Kopf wegen der Unterkunft. In dieser Wohnung steht eine Couch mit Deinem Namen drauf. Aber im Ernst, wenn ich diesen Job kriege, kaufe ich (wir) uns eine Wohnung, und dann bist Du jederzeit willkommen. Schieb’s nicht zu lang hinaus. Kai, Mann, Du fehlst mir.
Wenn Du in Marys Lokal gehst, trink ein Bier für mich mit. Sag ihr Hallo von mir, und dass es mir gut geht. Sag ihr, ich vermisse ihr Essen. Sag ihr, ich vermisse ihren dicken, schönen tumbu.
Dein Bruder
Tejani
Unten auf der Seite steht ein Postskriptum,
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