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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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Begebenheiten, seine eigenen Notfälle hat, aber weniger von Zufall und Beliebigkeit bestimmt ist, eine Welt, die er mit seinen Fähigkeiten unter Kontrolle halten kann. Kochen hat, wenngleich weniger fesselnd, eine ähnliche Wirkung.
    Abass sitzt auf dem Hocker in der Ecke und zwirbelt sich eine Schnur um die Finger.
    »Und? Was hast du heute in der Schule gemacht?«
    Das Kind zuckt die Achseln. »Nichts.«
    »Überhaupt nichts?«
    Abass zuckt wieder die Achseln.
    »Und, wie lief es denn so, dieses Nichtstun? Du hast an deinem Pult gesessen und aus dem Fenster gestarrt.« Kai nimmt eine Paprikaschote, halbiert sie und würfelt sie flink.
    »Ja«, sagt Abass grinsend. »Genau das haben wir gemacht.«
    »Ah, dann hast du ja doch was getan. Du hast gesessen, und du hast gestarrt. War das gut? Was hast du gesehen?«
    Ein Kichern. »Ich weiß nicht.«
    »Heute Morgen habe ich aus dem Fenster geschaut. Und weißt du, was ich gesehen habe?«
    »Nein.«
    »Ich hab fünfzig orangene Affen vorbeiflitzen sehen. Sind die auch bei dir vorbeigekommen?«
    Abass’ Grinsen geht in die Breite. »Ja. Sind sie. Sie sind am Schulfenster vorbeigerannt.«
    »Das klingt interessant. Hat deine Lehrerin sie auch gesehen?«
    »Mrs Turay? Nein. Weil sie gerade auf die Tafel geguckt hat.«
    »Und was ist mit den anderen?«
    »Die haben auf die Lehrerin geguckt.«
    »Dann warst du also der Einzige. Du alter Glückspilz! Was hast du sonst noch gesehen?«
    »Hmm.«
    »Als ich die orangenen Affen gesehen habe, ist mir aufgefallen, dass ihnen eine Blaskapelle folgte.«
    »Ja. Die Blaskapelle hab ich auch gesehen. Und …«
    »Den Rattenfänger von Hameln?«
    »Und die ganzen Ratten und die ganzen Kinder.« Abass klatscht in die Hände und hüpft auf dem Hocker auf und ab. »Die wütenden Leute, den Bürgermeister.«
    »Den einfüßigen Jombee. Den Jagenden Teufel.«
    »Hmm. Hmm. Das sprechende Schaf!«
    »Na also, das ist gut. Kann es die Zukunft vorhersagen?«
    »Ja.«
    »Und rechnen?«
    »Ja. Es kann alles.«
    »Na, dann hättest du dem sprechenden, mathematisch begabten Schaf deinen Stuhl im Klassenzimmer überlassen sollen und dich selbst verdrücken und dem Umzug anschließen. Glaubst du, Mrs Turay hätte den Unterschied überhaupt bemerkt?«
    Bei dieser Frage verfällt Abass in ein unbeherrschbares Gekicher. Kai trägt den Topf nach draußen und stellt ihn aufs Feuer. In der Küche gibt es zwar einen Herd, aber Kochgas ist häufig knapp. Und Kais Tanten kochen ohnehin lieber mit Holzkohle. Für Kai hat das etwas Elementares, wie in einem Bach zu baden oder einen Fußmarsch zu unternehmen.
    Während das Essen kocht, geht er sich waschen, begießt sich mit Wasser aus dem Eimer, der in der Ecke des Badezimmers steht. In seinem Zimmer schlüpft er in ein sauberes T-Shirt und eine leichte Baumwollhose mit Zugschnur. Abass hockt auf einer mit Papieren vollgestopften Kommode und wartet.
    »Darf ich heute Nacht hier schlafen?«
    »Möchtest du?«
    »Ja.«
    Kai lacht. Abass betrachtet es als ein Privileg, in Kais Zimmer zu schlafen, und träumt von dem Tag, an dem das Zimmer ihm gehören wird.
    »Okay, na, wir werden sehen.«
    Sie tragen volle Teller auf die Veranda, wo sie essen und die Welt betrachten, die vorüberzieht.
    Ein Luftstrom, er spürt, wie sich seine Wangen durch dessen Druck verformen. Ihm dreht sich der Magen um. Er fällt. Fällt. Die Ohrfeige des Wassers.
    Er schreckt aus dem Schlaf, überzeugt, geschwebt zu sein, tatsächlich den Aufprall auf dem Bett verspürt zu haben. Es dauert mehrere Minuten, bis sich seine Atem- und seine Herzfrequenz wieder normalisiert haben. Als es so weit ist, kann er das Ticken seiner Uhr auf dem Nachttisch hören, das Heulen von Hunden, die in der Nacht einander zurufen, die gleichen tremolierenden Töne, endlos wiederholt. Er steht auf und wandert durch das Haus. Hier ein Murmeln, da ein Seufzen begleitet seinen Weg. Er schätzt, dass es etwa vier ist, die Dunkelheit hat angefangen, sich zu lichten. Das ist die dritte Nacht hintereinander, und der Schlafmangel macht sich allmählich bemerkbar. Wenn er heute Nacht nicht ein paar Stunden mehr schafft, werden seine Arbeit, seine Konzentration, ja selbst seine Hand anfangen, darunter zu leiden. Er sitzt und wartet auf den Schlaf, obwohl er weiß, dass er sich ohne Weiteres erst am Morgen einstellen kann. Nach einer Stunde steht er auf und geht ins Haus zurück, aber nur teilweise auf demselben Weg, zu Abass’ Zimmer. Das Kind liegt schlafend im Bett. Er

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