Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
Vom Netzwerk:
hebt den leichten Körper hoch und trägt ihn aus dem Zimmer in sein eigenes. Abass fällt der Daumen aus dem Mund, seine Hand rankt sich um Kais Schulter.
    Ohne aufzuwachen, schmiegt sich das Kind in die Biegung von Kais Körper und steckt seinen Daumen zurück in den Mund. Kai liegt regungslos da und erlaubt seinem Geist, dem Rhythmus des kindlichen Atems zu folgen, bis er das Heulen der Hunde übertönt. Bis Kai einschläft.

16
    Das Rauschen in der Leitung klingt wie der Atem unsichtbarer Lauscher.
    »Kannst du mich hören?« Adrians Worte hallen aus sechstausend Meilen Entfernung direkt zu ihm zurück.
    Eine Pause, dann Lisas Stimme. »Ja, ich kann dich hören.« Um den Klang ihrer Stimme ballen sich Bilder. Er sieht sie im gelben Licht der Küche stehen, den Arm halb um die eigene Taille geschlungen, gegen die Arbeitsfläche gelehnt, ein Bein vor dem anderen angewinkelt, das Telefon in die Halsbeuge geschmiegt, mit einer Hand eine Haarsträhne glättend, so wie sie das am Anfang ihrer Ehe immer getan hat.
    »Tut mir leid wegen der Verbindung«, sagt er.
    »Ist schon okay.«
    »Wie läuft alles?«
    »Es ist alles bestens.« Sie unterhalten sich ein paar Minuten lang. Kate hat sich einen Zahn angeschlagen, Dienstag in einer Woche hat sie einen Termin beim Kieferorthopäden. Der alte Apfelbaum hinter dem Wintergarten wird vielleicht wegmüssen. Vorigen Abend waren Freunde zum Essen da, einige haben sich nach ihm erkundigt, haben gefragt, was er eigentlich mache. So wie sie es erzählt, wird klar, dass es ihr nicht gelungen ist, eine zufriedenstellende Antwort zu liefern.
    Adrian sagt dazu nichts, teilt ihr stattdessen den Grund seines Anrufs mit. »Du müsstest in mein Arbeitszimmer raufgehen. Nimm dort ab.«
    »Ich bin schon in deinem Arbeitszimmer. Sag mir einfach, was du willst. Ich hab dich auf Freisprechanlage.«
    Das Bild, das er sich von ihr gemacht hatte, fällt scherbenklirrend in sich zusammen. Er schließt die Augen, sucht im Gedächtnis die Regale seines Arbeitszimmers ab und führt Lisa zu jedem einzelnen Buch. Als sie fertig ist und zum Telefon zurückkommt, ist ihre Atmung von der Anstrengung beschleunigt. Er nennt ihr noch die Titel etlicher weiterer Fachbücher und bittet sie, sie für ihn zu bestellen. Er schweigt kurz, er möchte ihr gern erzählen, was ihn hier beschäftigt. Der Mann im Privatzimmer. Die Frau in der Anstalt. Was er gerade vor sich sieht. Eine sterbende Sonne, ein durchscheinendes Gestirn vor einem grobkörnigen Himmel.
    »Ich hatte mir überlegt«, sagt sie, bevor er anfangen kann, »möchtest du, dass ich hier neu tapezieren lasse, während du weg bist?«
    Während er den Standort jedes einzelnen Buches auf den Regalbrettern visualisieren kann, erinnert er sich nur mit Mühe an die Tapete.
    »Klar«, antwortet er.
    An einem anderen Tag spricht Adrian mit Kai über den Mann in dem Zimmer. Er ist zwar nicht sein Patient, aber Kai erzählt ihm, was ihm über den Zustand des Mannes bekannt ist. In einem anderen Land wären sie schon auf der Suche nach einem Lungenspender. Hier, versteht sich von selbst, ganz unmöglich. Sauerstoff könnte sein Leben um Jahre verlängern, aber das Sauerstoffwerk in der Stadt ist zerstört worden. Die zwei Konzentratoren, die das Krankenhaus besitzt, sind ständig im Einsatz. Und obwohl es vergebliche Liebesmüh ist, sucht er die Verwaltungschefin auf und fragt sie, ob sich irgendetwas machen ließe, wohl wissend, dass Elias Cole, selbst wenn sie ein zusätzliches Gerät hätte, noch immer nicht zum engeren Kreis der Auserwählten gehören würde. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn sie es für angebracht gehalten hätte, ihm eine Predigt zu halten, doch sie spart sich die Worte, sieht ihm direkt in die Augen und spricht die schamlose Lüge aus, sie werde tun, was sie könne.
    Einen Tag später steckt sie den Kopf durch seine Tür. Das ist mehr, als Adrian seit seiner Ankunft von ihr zu sehen bekommen hat, aber sie will nur sagen, dass ein Paket gekommen ist und in ihrem Büro auf ihn wartet. Er steht auf. Für einen Moment bleibt sie vor ihm in der Tür stehen, ohne sich zu rühren. Sie sieht Adrian etwas merkwürdig an, als sei ihr nicht ganz klar, was für einer Spezies er eigentlich angehört. Gleich verspricht sie mir diese Unterredung, denkt er.
    »Ja«, sagt sie, als könne sie seine Gedanken hören. »Wenn die Lage sich ein bisschen entspannt hat, kommen Sie doch auf einen Plausch vorbei, ja?« Und sie macht kehrt und hastet davon, dass

Weitere Kostenlose Bücher