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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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die Frau sei nicht besessen, sondern »über die Grenze«.
    »Er hat zwischen zwei Zuständen differenziert«, sagte Adrian. »Zumindest kam es mir so vor.«
    Salia, der mit auf dem Fußboden leise quietschenden Schuhen vor ihm hergegangen war, blieb stehen und wandte sich Adrian zu. Ein paar Sekunden lang schien er sich zu überlegen, ob er auf Adrians Bemerkung überhaupt eingehen sollte, vielleicht wägte er aber auch nur seine Worte ab.
    Als er sprach, sagte er: »Wenn ein Geist von jemand Besitz ergreift, wird er zu einem anderen Menschen, das ist eine schlimme Sache. Nur böse Geister machen die Lebenden besessen. Ich erzähle Ihnen nur, was manche Leute glauben, Sie verstehen schon.«
    »Ja.«
    »Aber manchmal ist ein Mensch fähig, die Grenze zwischen dieser Welt und der Geisterwelt zu überqueren, immer hin und her. Ein lebender Mensch, heißt das, ein wirklicher Mensch. Und wenn er zwischen den Welten, also in keiner von beiden Welten, ist, dann sagen wir: Er ist über die Grenze. Diese Frau wandert zwischen den Welten. So was kommt vor. Als ich ein kleiner Junge war, gab es eine Frau, die über die Grenze ging, tatsächlich war sie meine Tante. Es gab Zeiten, da zog sie von Dorf zu Dorf, allein, sogar bis nach Guinea und Liberia. Die Leute sahen sie, sie sagten, dass sie sie gar nicht wiedererkannte. Ihr Haar wurde lang. Die Leute glaubten, dass sie besondere Fähigkeiten besaß.«
    »Haben Sie jemals von anderen gehört, denen es auch so ging?«
    »Es gab welche, ja.«
    »Was waren das für Leute?«
    »Frauen.«
    »Alle?«
    Salia neigte den Kopf. »Alle.«
    Im Geist sieht Adrian die Landkarte an der Wand von Ileanas Arbeitszimmer, die farbigen Reißzwecken für die Ziele von Agnes’ Wanderungen, alles vor dem Hintergrund des dunklen Fensters.
    Die europäischen Fugueurs von vor hundert Jahren waren alle Männer gewesen.
    Hier sind sie Frauen.

17
    Julius trat in mein Zimmer mit einer Aktentasche voll Whisky. Er trug ein Leinenhemd, kurzärmlig, mit Stickereien an der Knopfleiste, sehr gestärkt und trotz der Hitze nur leicht geknittert. Neben ihm fühlte ich mich fade und unordentlich. Ich trug einen Anzug, einen der zwei, die ich besaß, ein Geschenk meines Vaters und blank an Hosenboden und Ellbogen. Den anderen hätte ich auf dem Weg zum Campus von der Reinigung abholen sollen, war aber durch einen Tumult davon abgehalten worden, bei dem es um einen fliegenden Händler ging, einen dieser Männer, die einen auf der Straße ansprechen und ihre illegale Ware in ihren Mänteln versteckt halten. Dieser bestimmte Bursche hatte Zeitungen gehabt. Auch wenn sie nicht mehr als Klatschblättchen waren, waren sie doch theoretisch verboten. Ihre Spezialität waren unausgegorene Verschwörungstheorien, politische Skandale, Morde, mit besonders blutrünstigen oder bizarren Details serviert und oft von einem anschaulichen Foto begleitet, das eine Polizeiquelle gegen eine entsprechende Bestechungssumme geliefert hatte. Ein-, zweimal hatte ich ein solches Blättchen in meinem Arbeitszimmer vorgefunden, nachdem Julius dort gewesen war. Ich warf vielleicht einen Blick auf die Titelseite, ehe ich das Ganze in den Papierkorb fallen ließ.
    Ich registrierte den Händler kaum, als er an mir vorbeiging. Ich merkte, dass er meine Aufmerksamkeit zu erregen versuchte. Ich wandte die Augen ab, und er ging weiter. Momente später wurde er von drei Männern gepackt, die aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schienen. Der Schwarzhändler versuchte zu entkommen, aber das war nicht sein Tag. Die Straße war voll von Zivilbeamten. Eine Razzia zur Stoßzeit, wenn die Händler die meisten Geschäfte machten. Sie verabreichten ihm eine Tracht Prügel und warfen ihn hinten in einen Landrover hinein.
    Das und der Regen hielten den Verkehr stundenlang auf. Die Zeit verbrachte ich in einem Friseursalon. Ein paar Wochen zuvor hatte mir der Eigentümer zugeredet, mir einen Schnurrbart stehen zu lassen. Ich lehnte mich in den Sessel zurück, während er mir das Gesicht einseifte und mir vereinzelte Haare abschabte, die Linie von Haaren auf meiner Oberlippe zu einem ordentlichen, durch eine Lücke halbierten Balken modellierte. Ich sah mich im Spiegel an. Ich war mit dem Ergebnis zufrieden.
    Und jetzt war Julius da und verstaute Beute in meinem Arbeitszimmer, Kästen Limonade und andere alkoholfreie Getränke, Flaschen von Hochprozentigem. Er wollte zu Ehren der Mondlandung eine Party veranstalten, die den eigentlichen Anlass in den Schatten zu

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