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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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stellen drohte.
    »Hey, Cole!«
    Ich war erhitzt, feucht und leicht verärgert, ihn zu sehen. Er lehnte sich über meinen Schreibtisch, und ich roch, vermischt mit seiner Witterung, einen Hauch von Saffia.
    Es verschlug mir fast den Atem.
    Ich weiß, wie wir aussahen. Die Leute begriffen nicht, was er in mir sah, da bin ich mir sicher. Denn mir ging es genauso. Ich war, bin, ein vorsichtiger Mensch. Julius’ Selbstherrlichkeit war schier atemberaubend. Er hatte nicht die geringste Angst vor dem Leben. Es zeigte sich in seiner prinzipienlosen Einstellung zum Besitz, in der Weise, wie er alles ausgab, was er gerade in der Tasche hatte. Er besaß die Fähigkeit, sich bis zur Besinnungslosigkeit und dann wieder zurück zur Bewusstheit zu betrinken. Er machte einfach weiter und zog einen mit, bis alle Müdigkeit verflogen war. Und dann, wenn das neue Licht sich über den Horizont legte, brachte er mich nach Hause und fuhr dann selbst heim, obwohl er längst nicht mehr fahrtüchtig war. Er knallte mit der Hand auf die Motorhaube des Wagens. »Keine Angst, Cole«, brüllte er, »die Karre findet mittlerweile ganz allein nach Hause!« Religion brauchte er keine. Er glaubte an sich selbst. Ein Selbstvertrauen, das sogar seine Sangeskünste einschloss, sodass er Jahre später, wenn man sich seiner erinnerte, als musikalischer Mensch gerühmt wurde. Und doch war die einzige Tugend, die seiner Stimme nachgesagt werden konnte, ihre Lautstärke. Ja, Julius glaubte an sich. Er hatte keine Angst vor dem Tod – denn der Tod war so unbedeutend, so klein, dass er nicht einmal seine Verachtung verdiente. Er hatte eine gefährliche Kinderkrankheit überlebt, an der viele andere gestorben waren. Aus dieser Tatsache schöpfte er Kraft, als bewiese sie, dass er gesegnet war.
    Er glaubte an seine Bestimmung, und er brachte andere dazu, gleichfalls daran zu glauben. Er war ein Verführer. Von Frau, Mann, Kind oder Hund. Für ihn stellte ich »Gesellschaft« dar, jemand, den es zu gewinnen galt, schlicht und einfach. Außerdem langweilte er sich schnell.
    Er hob auffordernd die Hand. Unsere Handflächen klatschten zusammen und glitten aneinander wieder zurück, unsere Daumen und Zeigefinger schnippten. Er wuchtete eine Gesäßbacke auf die Kante meines Schreibtisches.
    »Was läuft so, mein Freund?«
    »Nichts.«
    Er beugte sich herüber, um mich genauer in Augenschein zu nehmen, streckte die Hand aus und hob mein Kinn an, sein Gesicht keine zwei Handbreit von meinem entfernt. Ich spürte seinen warmen Atem. Er stieß einen leisen Pfiff aus.
    »Steht dir, Cole.«
    »Danke.« Ich beschloss, so zu tun, als meinte er es ernst.
    Er richtete sich wieder auf und betrachtete mich einen Augenblick lang nachdenklich. »Was hast du mit Vanessa angestellt? Das war eine gut aussehende Lady. Du brauchst eine Frau, Cole.« Aus irgendeinem Grund redete er mich weiterhin mit dem Nachnamen an, eine gelegentliche Marotte von ihm.
    Ich zuckte die Achseln. »Kein Bedarf.«
    »Ich mein’s ernst, Cole. Ich mag ein verheirateter Mann sein, aber ein paar von den Ladys kenn ich noch.« Er zwinkerte mir zu.
    Ich wollte nicht zu genau wissen, was er damit meinte. Mir war leicht unwohl.
    »Ich werde jemand für dich einzuladen, zur Party. Irgendeine hübsche Frau.«
    »Meinetwegen nicht, bitte.«
    Julius lachte. »Weißt du, Cole, bei den Mende gibt’s die Sitte, wenn ein Fremder in ein Dorf kommt, ihm eine Frau zu geben, die ihm bei Nacht Gesellschaft leistet – oft sogar eine Tochter des Häuptlings. Die Europäer haben früher viel Aufhebens um diesen Brauch gemacht, in ihren Augen bewies er, was für ein sittenloses Pack wir alle waren. Aber weißt du, warum die Mende diesen Brauch hatten, Cole?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Weil sie ganz genau wissen, dass ein Mann eine Frau braucht. Das liegt in der Natur der Dinge. Ein alleinstehender Mann ist eine Gefahr, ein hungriger Schakal. Also stiftet das Dorf ein Huhn. In meinen Augen, Cole, ist das mit Sicherheit der zivilisiertere Ansatz. Und indem sie ein selbst ausgewähltes Huhn stifteten, hatten sie jetzt außerdem einen Spion im Lager des Schakals! Und die europäischen Kaufleute hielten das für Großzügigkeit. Sie kamen immer wieder zurück. Hüte dich vor Hühnern, mein Freund, auch wenn sie Geschenke bringen.« Sein Gelächter rollte wie Applaus durch den Raum.
    Ich schluckte und kleisterte mir das Faksimile eines Lächelns aufs Gesicht.
    »Du brauchst eine Frau, mein Freund, die dich aufheitert. Deren

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