Lied des Schicksals
davontragen wird und dass sie sich unserem Ensemble wieder anschlieÃen kann, bevor wir nach Neuseeland fahren.«
Etty hätte beinah gefragt, wie das Ensemble denn ohne seine erste Sopranistin zurechtkommen werde, als ihr plötzlich klar wurde, warum man nach ihr verlangt hatte. Signor Ruggeiro lächelte sie an.
»Ich sehe Ihnen an, Miss Trevannick, dass Sie bereits ahnen, was ich Ihnen sagen will. Ich möchte Sie bitten, für den Rest unserer Australien-Tournee Donna Bellas Platz in unserem Ensemble einzunehmen.«
»Oh.« War das wirklich wahr? Sollte sie, Henrietta Trevannick, ein Star des italienischen Opernensembles werden? Und das sogar, ohne Australien verlassen zu müssen? Sie spürte, wie ihre Wangen rot wurden. Ihr Herz raste, ihre Hände zitterten. Sie war überwältigt. Vor Rührung traten ihr Tränen in die Augen, die sie rasch wegblinzelte.
»Ich fühle mich sehr geschmeichelt, Signor Ruggeiri. Ich hoffe nur, dass ich Ihrem Vertrauen gerecht werde und tatsächlich Donna Bellas Part ausfüllen kann.«
»Sie werden mich nicht enttäuschen, meine Liebe. Sie haben groÃes Talent. Nun müssen wir über Ihre Vertragsbedingungen sprechen. Sind Sie als Miss Trevannicks Managerin einverstanden, Madame?«
Madame drückte eine Hand an ihren wogenden Busen und erklärte, dass sie absolut einverstanden sei. Sie habe nur eine Bedingung, dass Ettys Klavierbegleiter mit ihr reisen dürfe. »Sie haben seit Beginn ihrer Ausbildung zusammengearbeitet. AuÃerdem ist er als Lehrer fast so gut wie ich.«
»Wenn Miss Trevannick mein Star wird, nehme ich auch gerne ihren Begleiter mit.«
Damit war das geregelt. Etty begann sofort, mit dem Ensemble zu proben, denn bereits an diesem Abend sollte eine weitere Aufführung von Die verkaufte Braut stattfinden. Zum Glück war ihr die Rolle der Marenka vertraut. Obwohl sie sehr nervös war, enttäuschte sie Signor Ruggeiris Erwartungen nicht. Sie erhielt stürmischen Beifall.
Nach der Aufführung lud Alistair sie zum Essen ein. Madame wollte nicht mitkommen.
»Ich fühle mich ein bisschen müde, meine Lieben. Amüsiert euch nur gut. Wir reden morgen miteinander. Halten Sie doch bitte diese Kutsche für mich an, Alistair.«
Als die Kutsche mit Madame losfuhr, blickte Alistair ihr mit so besorgter Miene hinterher, dass Etty ihn fragte, was denn los sei.
»Madame«, sagte er und sah Etty. an. »Ist dir nichts an ihr aufgefallen?«
»Eigentlich nicht, auÃer dass sie ziemlich müde aussah.«
»Ist dir nicht aufgefallen, wie sie geredet hat?«
»Nein ⦠Ach doch, das ist ja seltsam. Madame hat wie ein ganz normaler Mensch gesprochen.«
»Genau. Und wenn Madame die Rolle vergisst, die sie schon so lange spielt, kann das nur bedeuten, dass sie irgendeine groÃe Sorge quält.«
»Meinst du, ich sollte auch nach Hause fahren, falls es ihr nicht gut geht?«
»Ich meine, du solltest jetzt etwas essen. Ich weià nämlich, dass du den ganzen Tag kaum dazu gekommen bist.« Darauf nahm er sie am Ellbogen und führte sie zu ihrem gemeinsamen Lieblingsrestaurant.
Am nächsten Morgen kam Madame mit einem Tablett in Ettys Zimmer und rief: »Ich bringe Frühstück an Bett für die groÃartige Henrietta. Ah, meine Herz ist so voll. Ich habe immer davon geträumt, eine Star zu schaffen. Nun habe ich die gröÃte Star.«
Etty nahm das Tablett lächelnd entgegen. Wenn sie Alistair später traf, könnte sie ihm glaubhaft versichern, dass mit Madame alles wieder in Ordnung war.
Während sie das Rührei und das frische Brötchen aÃ, die Madame ihr gebracht hatte, dachte Etty darüber nach, was ihr in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert war. Die Vorstellung, dass sie nun die erste Sopranistin des Ensembles war, mit dem sie eigentlich hatte nach Italien reisen wollen, war fast wie ein Traum. Sie musste ihren Eltern sofort von diesem Glücksfall schreiben. Die würden sich freuen, dass sie diese Chance bekommen hatte, ohne Australien verlassen zu müssen. Vielleicht, aber auch nur vielleicht, würden sie nun auch nicht länger dagegen sein, dass Etty nach Italien ging. Diese Hoffnung sprach sie allerdings in ihrem Brief nicht aus.
Sie schrieb auch an Louisa, aber nicht an Darcy. Mit seiner Antwort auf ihren letzten Brief konnte sie erst rechnen, wenn sie von der Australien-Tournee zurück
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