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Lied ohne Worte: Roman (German Edition)

Lied ohne Worte: Roman (German Edition)

Titel: Lied ohne Worte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja
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lauschte nicht ihrem eigenen Spiel, sondern dem Nachklang der am Vortag erlebten Musik, und während sie spielte, wurde sie ruhiger.
    «Saschenka, sieh doch nur, was ich für Tomaten gekauft habe!», sagte Pjotr Afanassjewitsch, als er eintrat.«Nimm sie mal in die Hand, meine werden genauso sein.»
    «Was ist? Welche Tomaten?»Sascha begriff nicht sogleich. Doch als sie sich gefasst hatte, nahm sie das glatte, rote Gemüse in die Hand und lächelte.
    Selbst dies brachte sie nun nicht mehr in Harnisch! – War denn nicht alles einfach herrlich? Alles auf der Welt war gleichwertig, da die gesamte Schöpfung jene zauberhaften Weisen zu singen begonnen hatte, die sie ins Leben zurückgeführt hatten, die sie nun ganz erfüllten und sie auch morgen noch, in einem Monat und vielleicht auf immer erfüllen würden.
    Pjotr Afanassjewitsch ging in seinen Gemüsegarten und begann damit, die Blätter des Blumenkohls hochzubinden. Sascha, die nie an seinen Angelegenheiten Anteil nahm, fiel es plötzlich nicht mehr schwer, ihrem Mann dabei zu helfen; sie fand sogar Vergnügen daran. Was sie auch tat, sie tat es voller Leidenschaft und ohne darüber nachzudenken. Immer noch horchte sie auf etwas, erwartete etwas.
    Iwan Iljitsch kam mit seinem Schüler am Garten vorbei und blieb auf eine Minute am Zaun stehen, um Sascha und ihren Gatten zu begrüßen.«Erlauben Sie, dass ich Ihnen meinen Schüler Zwetkow vorstelle», sagte er.
    Zwetkow lächelte so einnehmend und frohgemut über das ganze Gesicht mit den schmalen Augen, dass alle sogleich davon angesteckt wurden. Er verbeugte sich, küsste Sascha die Hand und lobte die Landschaft.
    Er wirkte so heiter und natürlich und schien mit großem Talent für alles beschenkt, alles schien ihm leichtzufallen, so dass es ihm gar nicht in den Sinn kam, schüchtern zu sein. Er war selbstvergessen, sog alle Eindrücke des Lebens mit beängstigender Schnelligkeit in sich auf und machte sie sich für sein Glück und Wohlergehen zunutze.
    «Kommen Sie doch heute zum Essen zu uns», sagte Pjotr Afanassjewitsch zuvorkommend,«wir haben einen riesigen Hecht geliefert bekommen, und ich habe, mein Bester, einen Spargel eingekauft, dick wie Kerzen sind die Stangen – Sie werden schon sehen!»
    «Und was machen Sie da?»
    «Saschenka und ich binden gerade die Blätter des Blumenkohls hoch.»
    «Kommen Sie doch lieber mit uns schwimmen. »
    «Mit Vergnügen! Warten Sie, ich hole mir nur ein Handtuch.»
    Pjotr Afanassjewitsch eilte ins Haus, und Sascha, die die Arbeit hingeworfen hatte, rotwangig und freudestrahlend, sagte lachend zu Iwan Iljitsch:«Sie haben ja sehr gewissenhaft Ihre chromatischen Tonleitern geübt.»
    «Sie haben uns gehört?»
    «Wie könnte es anders sein!»
    «Nun, dann werden wir heute Abend etwas Schönes für Sie spielen!»
    «Vielen Dank! Ich freue mich darauf.»
    Die Männer zogen von dannen, und Sascha ging in die Küche, um das Essen zu bestellen. Alles sollte ausnehmend prächtig und feierlich sein. Sie band große Bouquets aus Feldblumen, Rosen, Jasmin, gelben Lilien und Farnzweigen. Sie räumte selbst die Zimmer auf und stellte sogar die Möbel um, bemüht, alles hübsch und behaglich herzurichten. Besonders hingebungsvoll strich sie mit ihrem duftenden Batisttaschentuch über die weißen und schwarzen Tasten des Klaviers und setzte sich dann, um zu spielen. Sie wollte ein Präludium probieren, das Iwan Iljitsch ihr am Morgen gesandt hatte.
    Aljoscha kam herein.«Mama, setz dich ein wenig zu mir, spiel mit mir», drängte er.
    «Warte ein wenig, mein Kleiner», entgegnete Sascha.
    «Mama, bitte…»
    Sascha aber war vollkommen von einer komplizierten Stelle des Präludiums in Anspruch genommen, in dessen wechselnde Stimmen sie sich hineinzuhören versuchte. Dieses Sich-Einfühlen in die Gedanken des Komponisten bereitete ihr Hochgenuss.
    Aljoscha begann zu weinen. Sascha erschrak, dass sie sich so hatte hinreißen lassen, nahm ihren Sohn auf den Arm und lief lachend mit ihm in den Garten, wo sie sich ausgiebig und besonders erfindungsreich mit ihm beschäftigte. Das Präludium aber klang in ihr nach, und im Geiste vergegenwärtigte sie sich die schwierigen Tonfolgen des Musikstücks.
    Zum Essen versammelten sich zahlreiche Gäste. Ein Freund von Pjotr Afanassjewitsch, Muchatow, war angereist, ein großer Liebhaber der Oper, wohlhabender Gutsbesitzer und häufiger Gast ihres Hauses, der sich in heimlicher Liebe zu Sascha verzehrte. Der Student Kurlinski, ein entfernter

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