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Lied ohne Worte: Roman (German Edition)

Lied ohne Worte: Roman (German Edition)

Titel: Lied ohne Worte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja
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abzureisen.
    Vor der Abreise bat Sascha unter dem Vorwand vergessener Noten den Hausknecht, ihr das gelbe Sommerhaus aufzusperren. Aufgewühlt schritt sie die leeren kleinen Zimmer ab und hielt in der Ecke des Raumes inne, in der Iwan Iljitschs Flügel gestanden hatte. Einen Moment lang gab sie sich der Erinnerung an ihn und sein Spiel hin; dann stieß sie tiefbewegt und voller Verzweiflung hervor:«Du hast mich dem Leben wiedergegeben, doch du wirst es auch zerstören!»

VI
     
    Zerbrochen
     
    Nach ihrer Rückkehr nach Moskau wurde Sascha sogleich ordentliches Mitglied des Konservatoriums, erwarb ein Abonnement für die Symphonischen Konzerte und widmete sich ihrer Garderobe. Sie liebte es, sich herauszuputzen, trug jedoch nur weiße und schwarze Kleider in mannigfacher Kombination. Sie war leichtfertiger, ruheloser Stimmung, lief durch die Geschäfte, richtete das Haus wieder ein; allein, es hielt sie nicht lange im Haus, sie fand keine Muße für Lektüre, und den Flügel fürchtete sie wie einen Feind.
    So lebte sie einen Monat lang. Von Iwan Iljitsch hörte sie, er sei auf der Krim und kehre bald zurück. Seine Abwesenheit machte Sascha noch ruheloser. Der Wunsch, ihn zu sehen, wurde zu einem solch quälenden Gefühl, dass sie, als er an einem der letzten Abende im Oktober unerwartet bei ihr erschien, fast das Bewusstsein verlor. Er blieb in der Tür ihres Schlafzimmers stehen, das durch einen Wandschirm in zwei Hälften geteilt wurde, und fragte schüchtern:«Ist es gestattet einzutreten, Alexandra Alexejewna?»
    «Ja, ja», erwiderte Sascha. Sie war derart erblasst, dass Iwan Iljitsch sich erstaunt erkundigte:«Was ist Ihnen, Alexandra Alexejewna, waren Sie krank?»
    «Aber nein, ich bin vollkommen gesund, ich bin nur müde; ich war viel in meinen Angelegenheiten unterwegs, habe das Haus eingerichtet. So kommen Sie doch herein!»
    «Ich bin gekommen, Ihnen eine traurige Nachricht zu überbringen. Wussten Sie, dass Kurlinski den Militärdienst verweigert hat?»
    «Der Ärmste, hat er das tatsächlich getan? Wo ist er?»
    «Im Militärhospital, bis man ihn für geistig oder körperlich krank befunden hat. Sie könnten etwas bei ihm ausrichten. Er ist Ihnen sehr ergeben.»
    «Ja, ich werde versuchen, ihn zur Vernunft zu bringen. Er hat in der letzten Zeit zu viele verbotene Bücher gelesen, und dies ist nun das Ergebnis. – Es tut mir leid um ihn! Hätte er doch nur weiter seine wenngleich schlechten, so doch harmlosen Gedichte geschrieben. Waren Sie denn schon bei ihm?»
    «Nein, aber ich habe vor, ihn zu besuchen.»
    «Und wie haben Sie den Herbst verbracht?»
    «Ausgezeichnet. Auf der Krim war herrliches Wetter, ich bin viel spazieren gegangen und habe beim Getose des Meeres komponiert.»
    «Sie Glücklicher! Doch auch ich habe die Zeit gut verlebt, ich bin zufrieden mit meinem Herbst.»
    Iwan Iljitsch nahm einige der Dinge in die Hand, die Sascha auf den kleinen Tisch hingeworfen hatte, und dieses belanglose Durcheinander des alltäglichen Lebens einer Frau rührte ihn aus irgendeinem Grund an. Neben einer überaus fein gewirkten alten Häkelarbeit lagen die«Philosophie der Kunst»von Taine 38 in französischer Sprache und ausländische Patiencekarten in einem Holzkästchen; dazu die Rechnung der Schneiderin neben einem ungelenken, von Aljoscha gezeichneten Bild und achtlos verstreuten Buntstiften. Und hier eine gerade erst abgeschriebene Romanze, ein Knäuel weißer Seidengaze auf einer Teerose aus Stoff und ein rotes Notizbüchlein… Saschas ganzes Leben.
    «Darf man einen Blick in das Notizbüchlein werfen?», fragte Iwan Iljitsch, der die Seiten des kleinen Buches durch seine schönen, schlanken Finger gleiten ließ.
    «Ich denke, man darf, aber es ist uninteressant. »
    «Das würde ich gern selbst überprüfen.»
    Iwan Iljitsch begann in ironischem Ton vorzulesen:«Lorgnette bei Schwabe abholen… Zarskoje Selo, Konjuschennaja Nr. 18… Länge 2 ½, Breite 1 ½. Stiefel für Aljoscha. 5. Sinfonie von Tschaikowski. – ‹Nicht die Stärke, sondern die Dauer der hohen Empfindung macht die hohen Menschen.› 39 Von wem ist das?»
    «Das ist wohl Nietzsche.»
    «Das ist sehr klug. – ‹Sache donc envisager sans frémir cette heure qui juge la vie; elle n’est pas la dernière pour l’âme, si elle l’est pour le corps.› 40 Seneca. – Sie denken über den Tod nach, Alexandra Alexejewna? »
    «Sehr oft sogar. Wie tröstlich und stets beruhigend ist doch das Versprechen der Ewigkeit…»
    «Nun,

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