Lied ohne Worte: Roman (German Edition)
zeigte sich ein bemitleidenswertes Lächeln, das sich widerwillig auf seine Lippen stahl.
«Alexandra Alexejewna, sind Sie es wirklich? », sprach er freudig und tonlos.«Mein Kamerad und Zimmergenosse Petrowski», stellte er den jungen Mann vor, der ihm Gesellschaft leistete.
«Was haben Sie sich nur dabei gedacht, sich derart ins Verderben zu stürzen, Kurlinski?»
«Womit stürze ich mich denn ins Verderben? Mir geht es, im Gegenteil, ganz ausgezeichnet, da ich meiner Pflicht nachgekommen und meinem Gewissen gefolgt bin.»
«Ich stimme nicht mit Ihnen überein, dass dies Ihre Pflicht ist. So sagen Sie doch, was hat Sie zu diesem Schritt veranlasst?»
«Ich weiß es nicht. Ich konnte einfach nicht anders handeln, als ich vor der Frage stand: Soll ich zum Militär gehen oder nicht? Ich kann keine Waffe in die Hand nehmen, ich werde niemals Menschen umbringen!»
«Das müssen Sie doch auch gar nicht. Aber was geschehen wird, ist, dass nun an Ihrer statt ein anderer eingezogen wird, der nicht eingezogen worden wäre, wenn Sie hingegangen wären.»
«Oh, das ist ein altbekanntes Argument! Ich gehe nicht zum Militär, weil ich jegliche Gewalt ablehne.»
«Welch kindische Flausen. Lassen Sie uns ernsthaft sprechen: Sie lehnen jegliche Gewalt ab, vollziehen jedoch durch Ihr Handeln einen gewalttätigen Akt. Sie handeln gewalttätig gegen jenen, der an Ihrer statt zum Militär eingezogen wird; Sie handeln gewalttätig gegen jene, die Sie hier einzusperren genötigt sind; Sie handeln gewalttätig gegen jene, die genötigt sein werden, über Sie zu richten, Sie zu unterdrücken und Sie an die Waffen zu zwingen…», sprach Sascha zunehmend erregt.
«Aber niemand ist doch verpflichtet, derart gegen mich zu handeln», wandte Kurlinski schüchtern ein.
«Aber nicht alle können sich dagegen auflehnen. Alle leben in Trägheit, doch es gibt Auserwählte, Menschen, die voranschreiten, die den wahrhaften Weg aufzeigen, die die Wahrheit aussprechen. Ihnen folgen zunächst nur wenige, und dann immer mehr. Begreifen Sie denn nicht, mein Freund», sagte Sascha, die sich der Tränen von Kurlinskis Mutter erinnerte und deshalb noch mehr Kraft und Gefühl in ihre Worte legte,«ist Ihnen denn nicht klar, dass es in dieser Sache bereits große Fortschritte gibt? Die Menschheit lehnt sich gegen den Krieg auf; die althergebrachte Ansicht, es sei ruhmvoll, das Vaterland mit der Waffe zu verteidigen, schwindet zunehmend. Allein die schwere Bürde der Notwendigkeit dessen ist geblieben. Versuchen Sie, diese Bürde gemeinsam mit all jenen zu tragen, die sich dieser Notwendigkeit gezwungenermaßen unterordnen. Auch das ist eine Heldentat.»
«Ihre Ausführungen sind paradox, Alexandra Alexejewna. Sie urteilen sehr unlogisch.»
«So lassen Sie uns doch solche schrecklichen Worte nicht gebrauchen, lassen Sie uns nicht logisch sein!», sagte Sascha und blickte ihren Gesprächspartner mit ihren zärtlichen, großen Augen fest an.«Nehmen Sie das Gewehr, ordnen Sie sich dem Befehlshaber unter, werden Sie Mitglied der Truppen und…», Sascha hielt inne,«glauben Sie mir, jede Ihrer Handlungen, jedes Ihrer Worte, jeder Atemzug – alles wird Ihren Protest gegen den Krieg bekunden, und Sie werden diesen viel erfolgreicher verbreiten können als hier im Gewahrsam.»
Kurlinski dachte nach.
«Wenn jeder meiner Atemzüge diesen Protest verbreitet, so wird man mich umbringen», antwortete er, und mit einer Bewegung des Kopfes lockerte er den grauen Kragen seines Kittels, der die feingeäderte, durchsichtige weiße Haut seines Halses allzu fest umschloss.
«Und dieser junge Mann geht freiwillig ins Martyrium!», dachte Sascha traurig, und furchtbar brannte in ihr der Wunsch, ihn zu erretten.
«Aber, aber, so versuchen Sie doch, dies anzunehmen, versuchen Sie, sich duldsam und demütig in die Notwendigkeit zu fügen. Blicken Sie sich um und versuchen Sie freundschaftlich, gütig und hilfsbereit gegen jene unglücklichen, von ihren Familien getrennten niederen Soldaten zu sein, mit denen Sie in Kontakt kommen. Allein dadurch werden Sie nicht Militär, sondern Christ sein. Zeigen Sie ihnen und Ihren Vorgesetzten durch Ihren Einfluss und Ihren Eifer, dass dort, wo Liebe und Demut herrschen, Mord nicht am Platze ist. Gott wird Ihnen helfen, und Sie werden von jenem schrecklichen Zweifel erlöst, der Sie im Augenblick quält…»
«Aber ich zweifle gar nicht, Alexandra Alexejewna, ich bin zu allem bereit», sagte Kurlinski. Zärtlich betrachtete er
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