Life - Richards, K: Life - Life
der Junkiewelt herrscht die Auffassung, dass jeder, der clean wird und es auch bleibt, ein Versager ist. Wobei er versagt hat, kann dir keiner sagen. Wie oft kann man den Turkey aushalten? Es ist bescheuert, aber man selbst realisiert es nicht, dass man an der Nadel hängt, man blickt einfach nicht durch. Bei mehreren Entzügen war ich der festen Überzeugung, dass in der Wand ein Safe voller Dope versteckt ist, mit allem, was ich brauche, Nadeln, Löffel, alles. Und als ich nach meinem Zusammenbruch wieder aufwachte, war die Wand mit blutigen Kratzspuren übersät. Ich hatte mit den bloßen Fingern versucht, die Wand aufzukratzen. Ist es das wirklich wert? Damals lautete meine Antwort: Ja, das ist es.
Ich kann genauso eingebildet und flatterhaft sein wie Mick, nur dass man sich das als Junkie nicht erlauben kann. Die Realität
sorgt dafür, dass man immer schön in der Gosse bleibt. Nicht auf der Straße, in der Gosse. Das war offensichtlich die Zeit, als Mick und ich in völlig entgegengesetzte Richtungen auseinanderdrifteten. Er hatte keine Zeit für mich und meine angebliche Unzurechnungsfähigkeit. Ich erinnere mich an eine Nacht in einer Pariser Disco, wo ich in katastrophaler Verfassung auf meinen Dealer wartete. Die Leute tanzten unter kleinen Glitzerkugeln, während ich mich unter den Sitzbänken versteckte und kotzte, weil der Mann nicht kam. Ich weiß noch, dass ich mich fragte, ob er mich hier unten überhaupt finden würde. Wenn er überhaupt noch kommt, dann schaut er sich kurz um und verpisst sich gleich wieder. Ich war reichlich verzweifelt, um es mal so zu sagen. Glücklicherweise entdeckte er mich. Aber wenn man sich in einer solchen Lage befindet und dich gleichzeitig die Welt für Numero uno hält, dann erkennt man irgendwann, wie tief man gesunken ist. Sich in diese Lage gebracht zu haben löst ein Gefühl des Selbstekels aus, den man so schnell nicht wieder loswird. Du Wichser, für Stoff würdest du wohl alles tun. Dabei bin ich doch mein eigener Herr. Keiner schreibt mir vor, was ich zu tun habe. Und trotzdem weißt du, dass der Dealer dich in der Hand hat, und das ist widerlich. Man ekelt sich vor sich selbst, wenn man auf diesen Pisser wartet und ihn dann anbettelt. Man kann es drehen und wenden, wie man will, Junkies sind Menschen, die auf ihren Dealer warten. Ihre Welt reduziert sich auf den Stoff. Daraus besteht ihr ganzes Universum.
Die meisten Junkies verblöden. Und das war letztlich der entscheidende Grund, der mich zur Umkehr bewegte. Wir kennen nur ein Thema, und das ist der Stoff. Geht’s nicht ein wenig intelligenter? Warum hänge ich mit diesen Nullen rum? Die sind langweilig. Schlimmer noch, viele sind absolut intelligente Menschen, die aber alle irgendwie wissen, dass sie sich haben täuschen lassen.
Andererseits … warum eigentlich nicht? Jeder lässt sich von irgendwas täuschen, wir wissen wenigstens, dass wir uns zum Affen machen. Keiner ist ein Held, nur weil er Drogen nimmt. Aber man könnte einer werden, wenn man es schafft, die Finger davon zu lassen. Ich liebte das Zeug. Aber irgendwann reichte es. Außerdem schränkt es den Horizont so ein, bis man schließlich nur noch Junkies kennt. Ich musste meinen Horizont erweitern.
Natürlich erkennt man das alles erst, wenn man den Ausstieg geschafft hat. Dafür sorgt schon der Stoff. Wie gesagt: Er ist die verführerischste Hure der Welt.
Die Sache in Kanada schleppte sich ewig hin. Woche für Woche flog ich zwischen New York und Toronto hin und her. Aber das hielt mich nicht davon ab, das Zeug weiter zu nehmen. Es gab da einen kleinen Flughafen, von dem aus ich von Toronto mit dem Privatflugzeug nach New York zurückjettete. Einmal ging ich in diesem Flughafen kurz vor dem Abheben aufs Klo, um mir einen Schuss zu setzen. Ich hocke also in meiner Kabine, und als ich gerade den Löffel aufkoche, sehe ich im Spalt unter der Tür ein verhängnisvolles Paar Sporen. Da steht doch tatsächlich ein verdammter Mountie in voller Montur vor dem Klo und muss pinkeln. Natürlich wird er das Zeug riechen; es dünstet nur so hoch … Klicker, klacker , das war’s für mich. Wir sind endgültig Geschichte. Aber klicker, klacker, klicker, klacker, die Sporen marschieren wieder raus. Wie oft konnte ich das Glück noch herausfordern? Ich hatte den Bogen längst überspannt. Eine schwarze Wolke hing bereits über mir, als wartete ich nur darauf, dass alles auffliegen würde. Ich hatte drei Anklagepunkte am Hals: Handel, Besitz und
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