Life - Richards, K: Life - Life
war, schlief ich unter dem Mischpult ein. Als ich wieder aufwache, keine Ahnung nach wie vielen Stunden, ist das Musikcorps der Pariser Polizei im Studio. Eine verdammte Blaskapelle. Die haben mich aufgeweckt. Sie hören sich gerade eine ihrer Aufnahme an. Und keiner von denen weiß, dass ich unter ihrem Mischpult liege und auf ihre Hosen mit den roten Streifen schaue, während sie sich die »Marseillaise« anhören und ich mich frage, wann ich hier unten rauskriechen
kann. Ich bin umzingelt von ahnungslosen Bullen, ich muss dringend höllisch pissen, und ich habe meine komplette Junkieausrüstung dabei, Nadeln, Stoff, alles.
Ich dachte kurz nach und sagte mir dann, ich mach einfach einen auf very british. Also krabbelte ich unter dem Pult hervor und sagte: »Oh, my God! I’m terribly sorry! « Dann hörte man überall »zut alors« , und bevor die sechsundsiebzig Bullen oder so überhaupt kapierten, was sie da sahen, war ich schon draußen. Ich dachte, die sind ja genau wie wir! Die sind so darauf konzentriert, eine gute Platte aufzunehmen, dass sie glatt vergessen, mich zu verhaften.
Verbeißt du dich zu sehr in einen Song, dann kann dir sein Drive abhandenkommen. Aber wenn du weißt, dass er da ist, dann ist er da. Man wird manisch, es ist wie die Suche nach dem Heiligen Gral. Hast du erst mal angefangen, gibt’s kein Zurück mehr. Du brauchst ein Ergebnis. Und irgendwann bist du am Ziel. An dem Song habe ich ewig rumgebastelt. Andere kamen dem nahe - »Can’t Be Seen« zum Beispiel -, aber »Before They Make Me Run« war mein Marathon.
Zu den Sessions von Some Girls noch eine Nachbemerkung, die ich Chris Kimsey überlasse.
Chris Kimsey: »Miss You« und »Start Me Up« wurden am selben Tag aufgenommen. Und wenn ich am selben Tag sage, dann meine ich: Das Masterband von »Miss You« wurde nach zehn Tagen Arbeit fertiggestellt, und danach nahmen sie sofort »Start Me Up« auf. »Start Me Up« war ursprünglich ein Reggae-Song, den sie drei Jahre zuvor in Rotterdam eingespielt hatten. Als sie es jetzt in Paris spielten, war es kein Reggae mehr, sondern das fabelhafte »Start Me Up«, das wir heute kennen. Der Song stammte von Keith, er hatte
ihn einfach verändert. Vielleicht lag es daran, dass er direkt nach dem Disco-Groove von »Miss You« einen anderen Ansatz ausprobieren wollte. Es war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich während derselben Session zwei Masterbänder aufnahm. Es dauerte gar nicht mal lange. Als wir den Take auf Band hatten, den alle für gut befanden, kam Keith rein, hörte ihn sich an und sagte: Ist okay, klingt wie etwas, das ich schon mal im Radio gehört habe, aber wir sollten das besser als Reggae spielen. Kannst du wieder löschen, Chris. Er machte weiter damit herum, es gefiel ihm noch nicht. Ich erinnere mich, wie Keith mal sagte, es wäre ihm am liebsten, wenn man nach Veröffentlichung eines Albums alle Masterbänder löschen würde. Dann könnte später keiner mehr dran rumpfuschen. Natürlich habe ich »Start Me Up« nicht gelöscht. Drei Jahre später war es der Riesenhit auf Tattoo You.
Einmal mehr drehte sich alles um den Stoff. Nichts geschah oder konnte organisiert werden, ohne dass vorher der nächste Schuss gesichert war. Es wurde immer schlimmer. Komplizierte Vorkehrungen, die manchmal schon absurde Züge annahmen, mussten getroffen werden. Ich hatte einen liebenswürdigen jungen Chinesen an der Hand, James W., den ich immer anrief, wenn ich von London nach New York flog. Ich stieg im Plaza Hotel ab und traf mich mit ihm in einer Suite, vorzugsweise der größten. Ich gab ihm das Geld, und er gab mir den Stoff. Und schöne Grüße an deinen Vater. Er war immer sehr höflich. In den Siebzigern war es in Amerika schwierig, an Injektionsnadeln zu kommen. Auf Reisen hatte ich stets einen großen Hut mit einer kleinen Feder dabei, die ich mit der Nadel am Hutband befestigte. Die Injektionsnadel diente als Hutnadel, ganz einfach. Der Filzhut mit der
rot-grün-goldenen Feder reiste in der Hutschachtel. Wenn James auftauchte, hatte ich schon mal den Stoff. So weit, so gut. Aber jetzt brauchte ich eine Spritze. Mein Dreh war folgender: Erst ließ ich mir einen Kaffee kommen, weil ich den Löffel zum Aufkochen des Heroins brauchte, dann ging ich rüber zu FAO Schwarz, dem Spielzeugladen an der Fifth Avenue direkt gegenüber vom Plaza. Im zweiten Stock gab es diese Ärztekoffer für Kinder, kleine Plastikboxen mit einem roten Kreuz drauf. Da war genau die Spritze drin, die
Weitere Kostenlose Bücher